Pflegenotstand, unterbezahlte Altenpfleger und sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz – der Stuttgarter "Tatort" (So, 24. Juli, 20.15 Uhr im Ersten) greift Themen auf, die wenig unterhaltsam sind, erzählt diese aber so intelligent, doppeldeutig und dramaturgisch ausgeklügelt, dass sich das Einschalten lohnt.
Der erste Anruf gilt dem Arbeitgeber: ein Magen-Darm-Infekt – Anne Werner (Katharina Marie Schubert) könne leider nicht bei der Arbeit erscheinen. Der zweite Anruf geht an den Sohn, er möge sich doch das Essen selber warm machen. Die Frau versteht sich aufs Lügen, denn der wahre Grund, warum die Altenpflegerin verhindert ist, ist ein anderer: Die Kommissare Lannert und Bootz verdächtigen sie, zwei ihrer Patienten getötet zu haben und halten sie bei einem Verhör für 24 Stunden fest.
Rückblick: Christian Hinderer stirbt bei einem Treppensturz. Seine Frau hielt ihn im ersten Stockwerk des Hauses quasi gefangen, damit der hilfsbedürftige Mann nicht wegläuft. Wollte er die Stufen aus eigener Kraft überwinden oder hat seine Altenpflegerin Anne ihn gestoßen? Für die Kommissare eine Frage, die unmöglich zu klären ist, von Beweisen fehlt jede Spur.
Ein weiterer Rückblick: Paul Fuchs, Patriarch und Griesgram war zwar bettlägerig, aber seine junge Ärztin glaubt, dass er durch das Weglassen von Medikamenten gestorben sei. Wollte er sich umbringen oder hat da jemand nachgeholfen? Seine Angehörigen scheinen über den Tod erfreut zu sein. Zudem fällt der Verdacht erneut auf Anne – aber auch hier scheint es fast unmöglich, die Tat zu beweisen. Die Kommissare befragen die Angehörigen der Opfer und entdecken dabei Erstaunliches.
Anne scheint das Herz am rechten Fleck zu haben. Sie ist sehr verständnisvoll zu ihren Patienten, spendet Geld, obwohl sie selber keines hat und meistert es als Alleinerziehende, sich liebevoll um ihren Sohn zu kümmern. Wie konnte es passieren, dass Anne unter doppeltem Mordverdacht steht?
Für diese Rolle hätte es kaum eine bessere Besetzung als Katharina Marie Schubert geben können. Sie meistert die Darstellung mit Bravour. Die 42-Jährige bewies schon im TV-Film "Keiner schiebt uns weg" (2018), wie sehr ihr tiefsinnige Charaktere stehen: Sie spielt dort eine Frau, die in den 80er Jahren gegen den Willen ihres Mannes arbeitet und die gleiche Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen erstreitet. 2017 spielte sie in "Atempause" eine Mutter, die sich weigert die Geräte bei ihrem hirntoten Sohn abschalten zu lassen. Seit ihrer Hauptrolle in "Anne und der Tod" ist sie noch in zwei weiteren Tatorten zu sehen gewesen: 2019 in "Falscher Hase" (Frankfurt) und "Die harte Kern" (Weimar).
Mit einer kammerspielartigen Inszenierung wechselt er die Zeitebenen, stellt widersprüchliche Aussagen in den Verhören einander gegenüber und führt in eine Welt ein, die sich erschreckend realistisch anfühlt. Der Zuschauer schwankt zwischen Empathie und Ablehnung: Wer ist diese geheimnisvolle Anne, die so großartig von Katharina Schubert dargestellt wird? Ein intelligenter, hintergründigen "Tatort", der traurig macht.