Die wahre Geschichte hinter „Wir sind dann wohl die Angehörigen”: Wer ist Jan Philipp Reemtsma?
Am Tag seiner Entführung am 25. März 1996 ist Jan Philipp Reemtsma 43 Jahre alt, verheiratet und hat einen 13 Jahre alten Sohn: Johann Scheerer. 2018 veröffentlicht Scheerer den Roman, auf dem der Film „Wir sind dann wohl die Angehörigen” basiert. Im Film übernimmt Philipp Hauß die Rolle von Jan Philipp Reemtsma. Sein Sohn Johann wird von Claude Heinrich gespielt. Adina Vetter schlüpft in die Rolle der Mutter Ann Kathrin Scheerer.
Doch wer ist die Familie eigentlich? Jan Philipp Reemtsma ist Gründer des Hamburger Instituts für Sozialforschung und Nachkomme einer vermögenden Industriellenfamilie. Der Literaturwissenschaftler verkaufte seine Anteile an dem Unternehmen bereits im Alter von 26 Jahren und wurde dadurch zum Multimillionär. Er gehört zu den reichsten Menschen Deutschlands.
Die Familie Reemtsma wohnt auf einem großzügigen Grundstück im Hamburger Stadtteil Blankenese. Am Abend des 25. März verlässt Reemtsma das Wohnhaus, um sich in seinem ebenfalls auf dem Grundstück befindlichen Arbeitshaus zu entspannen. In einem Gebüsch auf dem Grundstück der Familie lauern zwei Männer. Und dann passiert es.
Die wahre Geschichte der Entführung
Die Entführer überwältigen Reemtsma, fesseln ihn und werfen den hilflosen Mann in den Kofferraum ihres Wagens. Die Namen der Kriminellen: Thomas Drach und Wolfgang Koszics. Sie haben Monate zuvor ein Haus in einem norddeutschen Dorf namens Garlstedt angemietet, in das sie Reemtsma verschleppen.
Am Abend des Entführungstages findet Reemtsmas Frau Ann Kathrin Scheerer auf einer Mauer vor dem Wohnhaus einen Brief. Die Entführer haben das Stück Papier mit einer Handgranate beschwert. In dem Erpresserbrief fordern die Kidnapper 20 Millionen D-Mark Lösegeld. Die Drohung: Wenn die Familie Polizei oder Medien informiert, wird Jan Philipp Reemtsma ermordet.
Ann Kathrin Scheerer lässt sich jedoch nicht einschüchtern und informiert nachts die Polizei. Wenige Tage später arbeiten rund 200 Einsatzkräfte am Entführungsfall Reemtsma.
Die Polizei appelliert an die Medien, den Fall noch nicht publik zu machen. Alle eingeweihten Redaktionen halten sich an diese Bitte.
So lief die Kontaktaufnahme ab
Im Erpresserbrief geben die Kriminellen Anweisungen, wie die Kontaktaufnahmen stattfinden soll: Ann Kathrin Scheerer soll in der Zeitung Hamburger Morgenpost eine Anzeige schalten. Der Inhalt: „Alles Gute, Ann Kathrin“ und eine Faxnummer, über die die Entführer mit ihr kommunizieren können.
Über Kleinanzeigen versucht die Polizei in den kommenden Wochen immer wieder, mit den Entführern in Kontakt zu treten. Für Unbeteiligte völlig harmlose Grußbotschaften sollen die Bereitschaft der Familie signalisieren, das geforderte Lösegeld zu zahlen: „Alles Gute, Ann Kathrin. Laßt uns nicht so lange warten. Es ist doch alles bereit. Melde Dich!“, inseriert die Polizei unter anderem in der Hamburger Grußpost. Und irgendwann klappt es.
Die Geldübergabe scheitert
Am 3. April 1996 soll in der Nähe von Hamburg das Lösegeld übergeben werden. Ann Kathrin Scheerer und der Anwalt Johann Schwenn sollen das Geld überbringen. Doch die Übergabe scheitert.
Auch die zweite Geldübergabe am 13. April 1996 scheitert, da Schwenn den Sack mit Geld zu spät am Übergabepunkt abliefert. Jan Philipp Reemtsma sitzt mittlerweile fast 20 Tage in seinem engen Verlies in dem unauffälligen Haus mit Reetdach in Garlstedt.
Jan Philipp Reemtsma kommt frei
Die Entführer melden sich bei dem Hamburger Pastor Christian Arndt und dem Soziologieprofessor Lars Clausen. Beide Männer sind Freunde von Jan Philipp Reemtsma. Sie sollen die Geldübergabe übernehmen. Doch mittlerweile wollen die Entführer mehr Geld: 30 Millionen D-Mark Lösegeld soll die Familie zahlen.
Am 24. April gelingt die Geldübergabe schließlich. Die beiden Reemtsma-Vertrauten Arndt und Clausen parken nahe Krefeld ihren Wagen an einem Acker. Im Gepäck haben sie zwei Reisetaschen voller Geld.
Endlich: Die Entführer melden sich und bestätigen den Erhalt des Geldes. In der Nacht zum 27. April 1996 lassen sie Jan Philipp Reemtsma frei. Der orientierungslose Mann läuft durch die dunkle Nacht und findet schließlich ein Wohnhaus. Er meldet sich bei seiner Frau per Telefon: „Ich bin’s. Ich bin frei“.
Die Jagd nach den Tätern beginnt
Am Tag nach der Freilassung spielt die Polizei im Rahmen einer Pressekonferenz Tonaufnahmen der Entführer ab. Und tatsächlich: Mithilfe der Aufnahmen lassen sich zwei Täter identifizieren: Die Polizei verhaftet Wolfgang Koszics und Peter Richter. Als Drahtzieher identifiziert die Polizei Thomas Drach – er hat das Haus in Garlstedt gemietet. Drach setzt sich nach Argentinien ab, wird jedoch 1998 nach Deutschland ausgeliefert. Ein weiterer Mittäter, Piotr Laskowski, stellt sich 1999 selbst der Polizei.
Alle an der Tat beteiligten Männer erhalten teils langjährige Haftstrafen. Laskowski wird nach seiner Haftstrafe 2002 in sein Heimatland Polen abgeschoben. Am 10. Februar 2014 taucht Wolfgang Koszics’ Leiche im Meer vor der portugiesischen Algarve auf. Die Polizei geht von Suizid aus.
Wo ist das Lösegeld geblieben? Das sagt die wahre Geschichte hinter „Wir sind dann wohl die Angehörigen”
Jahre nach der Verhaftung und Verurteilung der Kidnapper steht die Justiz immer noch vor einem Rätsel: Ein großer Teil des Lösegelds ist bis heute nicht wieder aufgetaucht. Nur (umgerechnet) 1,3 Millionen Euro des Geldes machen die Behörden ausfindig. Die Polizei vermutet zunächst, dass die fehlende Geldsumme im Rockermilieu gewaschen wurde. Doch dies erweist sich als Fehlannahme.
Heute gehen die Behörden davon aus, dass der Bruder von Drahtzieher Thomas Drach das Geld entweder verprasst oder bei einem gescheiterten Drogendeal verloren hat.
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