Die Wirtschaft im Norden sieht das Erstarken extremer oder europafeindlicher Parteien bei der Europawahl mit großer Sorge und hat die Bundesregierung zu einem Umsteuern aufgefordert. «Das Ergebnis ist ein alarmierender Weckruf für die Ampel-Koalition in Berlin, die auch aus Sicht der norddeutschen Wirtschaft bisher die völlig falschen Akzente gesetzt hat», sagte der Präsident des Unternehmensverbands UVNord, Philipp Murmann, am Montag. Die Menschen machten sich Sorgen um die Wirtschaft, ihre Arbeitsplätze und die innere Sicherheit. Doch geboten bekämen sie Lösungen zum Cannabiskonsum und zur Geschlechtsidentifizierung.
Der Präsident des Arbeitgeberverbands Nordmetall, Folkmar Ukena, sagte mit Blick auf die hohe Wahlbeteiligung in Deutschland von fast 65 Prozent: «Dass insbesondere die Parteien an den extremen Rändern viele Wählerinnen und Wähler mobilisieren konnten, lässt mich mit Sorge auf die anstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, aber auch auf die Bundestagswahl 2025 blicken.» Das deutsche Europawahlergebnis bezeichnete er als eine «eindeutige Klatsche für SPD und Grüne» und forderte alle demokratischen Parteien auf, Konsequenzen zu ziehen.
«Die deutsche Industrie braucht weniger Regulierung und Bürokratie, höhere Wettbewerbsfähigkeit statt höherer Energiekosten und mehr Außenhandel statt Protektionismus», sagte Ukena. UVNord-Chef Murmann wiederum betonte: «Unsere Hoffnung ruht jetzt darauf, dass die mehrheitlich demokratischen Fraktionen sich zusammenschließen und einen klaren und pragmatischen Kurs für ein wirtschaftlich und politisch starkes Europa einschlagen.»
Der Vorsitzende des Industrieverbands Hamburg, Matthias Boxberger, warnte: «Die europäische Idee darf nicht im Populismus untergehen!» Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Wohlstand seien eng mit den offenen Grenzen innerhalb der EU verwoben. «Die gemeinsame Währung, einheitliche Normen sowie eine starke gesamteuropäische Stimme bei Verhandlungen kann nur ein Europa ermöglichen, das gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft setzt und sich nicht in Detailregelungen verliert.» Nur wenn es Europa gelinge, die nachhaltige Transformation der Industrie mit globaler Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden, folgten andere Regionen diesem Modell.
Der Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) verlangte vom neuen Europäischen Parlament und der künftigen EU-Kommission einen neuen Fokus auf den maritimen Sektor. «Um den Herausforderungen unserer Zeit begegnen zu können, brauchen wir starke Häfen», sagte ZDS-Präsidentin Angela Titzrath. Wirtschaftskraft, Energiewende und Wehrhaftigkeit setzten leistungsfähige Seehäfen und effiziente Verkehrsanbindungen voraus. «Für eine starke Europäische Union muss die maritime Logistik daher Priorität haben.»
Angesichts der vielen Krisen müsse sich die EU auf ihre Stärken besinnen: gemeinsames Handeln, einen freien Binnenmarkt, eine offene und selbstbewusste Handelspolitik sowie fairer Wettbewerb. «All das sollte auch in eine umfassende europäische Hafenstrategie sowie eine gemeinsame maritime Industriestrategie einfließen», forderte die Vorstandsvorsitzende der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), Titzrath. Zudem müssten das Beihilferecht für Häfen und Schifffahrt modernisiert, die Leitlinien für staatliche Beihilfen überprüft und der Emissionshandel für die Schifffahrt verbessert werden. «Hier ist schnelles Handeln der EU gefragt, denn Reedereien sind längst dabei, neue Ladungsdrehkreuze außerhalb der EU zu etablieren», erklärte Titzrath.
Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis hat die Union die Europawahl in Deutschland am Sonntag mit großem Abstand gewonnen - vor der AfD, die zweitstärkste Kraft wurde. Demnach legten CDU und CSU zusammen auf 30,0 Prozent zu. Die AfD verbesserte sich deutlich auf 15,9 Prozent. Die regierenden Parteien der Ampel-Koalition mussten alle Einbußen hinnehmen: Die SPD fiel auf 13,9 Prozent und erzielte damit ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl, die Grünen stürzten noch stärker ab auf 11,9 Prozent, die FDP erlitt mit 5,2 Prozent leichte Einbußen. Das neu gegründete linke Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kam aus dem Stand auf 6,2 Prozent, die Linke auf 2,7 Prozent.