Die Amerikanerin Naomi Beckwith wird die documenta 16 im Jahr 2027 kuratieren. Das gaben die Verantwortlichen der Weltkunstschau am Mittwoch in Kassel bekannt. Beckwith ist stellvertretende Direktorin und Chefkuratorin des New Yorker Guggenheim Museums. Sie bezeichnete die documenta als Institution. Es sei ein «absolutes Geschenk», die Ausstellung leiten zu dürfen.
Sie habe jede documenta seit der zwölften Ausgabe verfolgt und sei vom ersten Moment an besessen gewesen von dem Konzept der Ausstellung, sagte die 48-Jährige. Kein anderes Projekt der Kunstwelt erlaube so tiefe Gedanken, eine so tiefe Recherche und eine so enge Zusammenarbeit mit Künstlern.
Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta gGmbH, Kassels Oberbürgermeister Sven Schoeller (Grüne), bezeichnete Beckwith als «exzellente Wahl». Sie sei eine hochkarätige Expertin für Gegenwartskunst.
Nachfolge von umstrittenem Kuratorenkollektiv Ruangrupa
Der Kunsthistoriker und Direktor des Museums Ludwig in Köln, Yilmaz Dziewior, und die Direktorin des Mori Art Museum in Tokio, Mami Kataoka, hatten die Personalie in Vertretung der Findungskommission verkündet. Dem sechsköpfigen Gremium gehören zudem der freie Kurator Sergio Edelsztein, die Kuratorin, Professorin und Expertin für Kulturpolitik N'Goné Fall, die freie Kuratorin und ehemalige Rektorin der Frankfurter Städelschule und Direktorin des Portikus Yasmil Raymond sowie die Künstlerische Leiterin des Jim Thompson Art Center in Bangkok Gridthiya Gaweewong an.
Beckwith folgt auf das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa, das die umstrittene documenta fifteen im Jahr 2022 kuratiert hatte. Die Schau war von massiven internationalen Antisemitismus-Diskussionen überschattet worden. Bereits im Vorfeld der Kunstausstellung waren erste Stimmen laut geworden, die Ruangrupa und einigen eingeladenen Künstlern eine Nähe zur anti-israelischen Boykottbewegung BDS vorwarfen.
Kurz nach der Eröffnung der documenta fifteen wurde eine Arbeit mit antisemitischer Bildsprache entdeckt und abgehängt. Später lösten weitere Werke scharfe Kritik und Forderungen nach einem Abbruch der Ausstellung aus.
Verzögerungen im Findungsprozess
Auch bei der Suche nach einer Künstlerischen Leitung für die documenta 16 kriselte es. Nach Antisemitismus-Vorwürfen gegen ein Mitglied der Findungskommission für die für 2027 geplante Schau war Ende vergangenen Jahres zunächst dieses Mitglied und später die gesamte Findungskommission zurückgetreten. Eine neue Findungskommission hatte der Aufsichtsrat der Weltkunstschau erst Anfang Juli berufen. Beckwith hat daher nun etwa ein Jahr weniger Zeit für die Vorbereitung der hunderttägigen Weltkunstausstellung.
Als Konsequenz aus dem Antisemitismus-Skandal reformiert die documenta derzeit ihre Strukturen. Zur Aufarbeitung der Vorfälle hatte der Aufsichtsrat der documenta eine Managementberatung mit einer Organisationsuntersuchung beauftragt. Auf ihre Empfehlung hin wird ein wissenschaftlicher Beirat eingerichtet. Das sechsköpfige Gremium soll unter anderem aktuelle gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskurse aufgreifen und internationale, plurale Perspektiven einbringen.
Öffentliche Vorstellung statt Verhaltenskodex
Anders als von der Managementberatung empfohlen, wird sich die Künstlerische Leitung der documenta 16 aber nicht auf einen Verhaltenskodex verpflichten müssen. Ein solcher wurde lediglich der documenta-Geschäftsführung auferlegt.
Die neue Künstlerische Leitung soll hingegen frühzeitig in einer öffentlichen Veranstaltung ihr künstlerisches Konzept vorstellen und dabei auch darlegen, «welches Verständnis sie von der Achtung der Menschenwürde hat und wie deren Wahrung auf der von ihr kuratierten Ausstellung sichergestellt werden soll», wie es hieß. Beckwith betonte bei ihrer Vorstellung, sie habe keine Toleranz gegenüber jeglicher Form von Rassismus und Antisemitismus.
Erleichterung bei den Verantwortlichen
Nicht wenige hätten die documenta im vergangenen Jahr totgesagt, sagte Schoeller. «Aber wir sind die Probleme mit Ruhe, Besonnenheit und sehr viel inhaltlicher Stringenz angegangen, in einem Umfeld, das aufgeregter nicht hätte sein können», so der Aufsichtsratsvorsitzende. «Wir haben zu keinem Zeitpunkt das Vertrauen in die documenta verloren. Das hat uns getragen.» Die kreative Kraft der documenta sei ungebrochen.
«Mir fällt heute ein Stein vom Herzen», sagte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende, Hessens Kunst- und Kulturminister Timon Gremmels (SPD). Die documenta sei weit mehr als irgendeine Ausstellung für zeitgenössische Kunst. «Sie ist eine Institution mit enormer Strahlkraft, aber auch mit Verantwortung, die weit über Kassel, über Hessen und Deutschland hinausstrahlt.» Sie sei der Ort des Diskurses und der Auseinandersetzung mit den Mitteln der Kunst.
«Die documenta lebt», betonte Gremmels. Er sei sicher, mit den getroffenen Entscheidungen könne die Schau beweisen, «dass Kassel, dass Deutschland, dass Hessen ein Ort ist, in dem wir zeitgenössische Kunst mit globalem Anspruch aus der Region für die Welt gestalten können».
Kulturstaatsministerin Roth sieht documenta auf einem guten Weg
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) bezeichnete die Personalie als «eine sehr gute Nachricht für die nächste documenta». Beckwith bringe mit ihrer wegweisenden, international ausgerichteten kuratorischen Tätigkeit die besten Voraussetzungen mit, um die Schau zu einem Erfolg mit weltweiter Ausstrahlung zu machen, erklärte sie in einer Pressemitteilung. «Die documenta hat unter der Leitung von Naomi Beckwith die Möglichkeit, erneut ihr Potenzial als eine der weltweit wichtigsten Präsentationen zeitgenössischer Kunst voll entfalten zu können.»
Insgesamt sei die documenta nun auf einem sehr guten Weg. «Es fand eine Aufarbeitung der Geschehnisse der d15 statt, strukturelle Defizite wurden klar benannt und wichtige Entscheidungen für eine Strukturreform getroffen.» Gerade dies sei eine Voraussetzung für eine weitere Förderung durch den Bund.
Die documenta gilt neben der Biennale in Venedig als wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst. Die 16. Ausgabe soll vom 12. Juni bis 19. September 2027 stattfinden. Nach dem Antisemitismus-Eklat um die documenta fifteen und dem Rücktritt der gesamten Findungskommission stand jedoch immer wieder auch eine Verschiebung im Raum. Andreas Hoffmann, Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, betonte, nun sei klar, dass die Ausstellung wie geplant 2027 in Kassel stattfinde.