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15-Jähriger wegen Mordes vor Gericht - «Vernichtungswillen»

Ein 15-Jähriger soll einen Obdachlosen in einem Gewaltexzess getötet haben. Wie es dazu kommen konnte, klärt nun ein Gericht. Was überhaupt Jugendliche zu solchen Taten bringt - dazu gibt es Theorien.
Landgericht Darmstadt
Der Eingang des Landgerichts und Amtsgerichts in Darmstadt. © Christoph Schmidt/dpa

87 Schläge und Tritte gegen Kopf, Hals sowie Oberkörper: Diesen Gewaltexzess hat ein Obdachloser mitten in Darmstadt nicht überlebt. Als mutmaßlicher Mörder steht seit Dienstag ein 15-Jähriger vor dem Landgericht der südhessischen Stadt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Jugendlichen vor, den 57-jährigen Mann in der Nacht zum 15. November 2023 so schwer verletzt zu haben, dass das Opfer einen Tag später im Krankenhaus starb.

Vor dem gewalttätigen Angriff soll der 15-Jährige mit seinem drei Jahre älteren Bruder den Obdachlosen auf dem zentral gelegenen Luisenplatz geschlagen und ausgeraubt haben. Der Bruder steht wegen des Überfalls ebenfalls vor der Jugendkammer, ihm wird aber nicht der Mord vorgeworfen.

Der weitere Prozess wird angesichts des jugendlichen Alters der Angeklagten zeitweise ohne Zuschauer stattfinden - die Jugendkammer schloss am Dienstag die Öffentlichkeit nach Verlesung der Anklageschrift in Teilen aus. Die Verteidigung des 15-Jährigen hatte zuvor den Ausschluss beantragt. Bei einer Verurteilung wegen Mordes droht dem 15-Jährigen nach Jugendstrafrecht eine Haftstrafe von maximal zehn Jahren. Der Vorsitzende Richter berichtete später aus dem nicht-öffentlichen Teil der Verhandlung, dass beide Angeklagte «vollumfänglich geständig» waren.

Wegen des Überfalls war damals die Polizei auf den Luisenplatz gekommen, später rückten die Beamten wieder ab. Laut Anklage war der 15-Jährige mit bulgarischer Staatsangehörigkeit wütend darüber, dass die Polizei da war. Diese Wut soll er an dem obdachlosen Deutschen ausgelassen haben, auch um ihn zu erniedrigen. Die Staatsanwältin sprach bei der Verlesung der Anklageschrift von «Vernichtungswillen». Der 15-Jährige soll den Deutschen 87 Mal geschlagen und getreten haben, bevor die Polizei erneut eintraf.

Die Tat sorgte weit über Darmstadt und Hessen hinaus für Entsetzen. «Die Nachricht, dass der obdachlose Mann, der in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch mitten in unserer Stadt Opfer eines äußerst brutalen Raubüberfalls war, seinen Verletzungen erlegen ist, erschüttert mich zutiefst», sagte Oberbürgermeister Hanno Benz (SPD) kurz nach der Tat. Ordnungsdezernent Paul Georg Wandrey sprach von einem «grausamen Vorfall, der seinesgleichen sucht».

Besonders das Alter des Hauptangeklagten ist ungewöhnlich. Jugendliche stehen in Hessen nur selten unter Mordverdacht. Nach Angaben des hessischen Landeskriminalamts (LKA) sind von Jugendlichen begangene Kapitalverbrechen - dazu zählt auch Mord - selten. In den Jahren 2019 bis 2023 wurden demnach zwei Morde registriert, bei denen die mutmaßlichen Täter zwischen 14 und 17 Jahre alt waren, hinzu kommen zehn versuchte Taten. In der Altersgruppe der 18- bis 20-Jährigen waren es fünf Morde und 20 Taten, bei denen es beim Versuch blieb. Zudem gab es im selben Zeitraum laut der polizeilichen Kriminalstatistik zwei Mordversuche durch tatverdächtige Kinder im Alter von 13 Jahren oder jünger.

Wenn Jugendliche töten, sind nach der Erfahrung des Kriminalpsychologen Rudolf Egg selten fremde Menschen die Opfer. «Wenn es einen völlig Fremden trifft, macht einen das erst mal ratlos. Schließlich hat er dem Täter doch nichts getan», sagte der frühere langjährige Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden mit Blick auf das Thema.

Bei jugendlichen Tätern liege das Motiv häufig im Bereich von Neid, Hass oder Missgunst. «Mit der Tat wird Macht demonstriert. Wenn sie sich schwach fühlen, suchen sie jemanden, dem sie überlegen sind. Dafür ist jemand, der auf der Straße lebt, natürlich geeignet», erklärte Egg. Alkohol oder Drogen spielten oft eine große Rolle, sie seien allerdings nicht die Ursache, sondern ein Verstärker. Das Gleiche gelte, wenn eine Tat von mehreren Menschen ausgeübt werde - keiner von ihnen wolle als scheinbarer Schwächling dastehen.

Täter seien häufig selbst einmal Opfer gewesen, indem sie etwa zu Hause oder in der Schule geschlagen wurden. Diese Erfahrung bringe sie jedoch nicht dazu, anderen Menschen Angst und Schmerzen zu ersparen - im Gegenteil: «Sie identifizieren sich mit dem Aggressor, schließlich hat der aus ihrer Sicht Erfolg. Deshalb nehmen sie die Gewalt in ihr Verhaltensmuster auf», sagte Egg. Die Logik sei: Wenn ich selbst schlage, bin ich kein Opfer mehr.

Die Reaktion von jugendlichen Gewaltverbrechern auf ihre Tat falle unterschiedlich aus. Manche seien tief verzweifelt, andere wirkten kaum betroffen. Manchmal seien auch ihre Familien aggressiv. «Da kommt der Vater zu seinem Sohn in den Vollzug und sagt: «Das hast du richtig gemacht».»

Die mutmaßlichen Motive und Hintergründe im Darmstädter Fall versucht die Jugendkammer des Landgerichts nun zu klären. Für den Prozess sind vorerst vier Verhandlungstage bis zum 4. Juli angesetzt.

© dpa ⁄ Marc Wickel und Sabine Maurer, dpa
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