Es ist Margot Honecker, die als erste die Sprachewiederfindet. Mit ihrem Mann Erich und einem eisernen Lächeln stehtsie vor der Tür der Pastorenfamilie Holmer in Lobetal nordöstlich vonBerlin. Die Familie hat zugesagt, das einst mächtigste Paar der DDRaufzunehmen. Aber nun sind Pastor Uwe Holmer und seine Frau doch ineiner Art Schockstarre. «Dürfen wir reinkommen?», fragt schließlichMargot Honecker. Sie dürfen, auch wenn es schwerfällt.
So stellt «Tatort»-Star Jan Josef Liefers als Regisseur des Films
«Honecker und der Pastor» am Freitag (9.8., 20.15 Uhr) auf 3sat den
Beginn dieser schicksalhaften Symbiose dar, die die
Honeckers Anfang 1990 für zehn Wochen mit den Holmers verband.
Es ist eine Wiederholung aus dem Jahr 2022.
Ein Ex-Staatschef ohne Wohnung
Erich Honecker - im Film dargestellt von Edgar Selge - hatte im
Oktober 1989 alle Ämter als Staats- und Parteichef verloren und
gerade eine Krebsoperation hinter sich. Margot Honecker (Barbara
Schnitzler), jahrzehntelang Volksbildungsministerin, war ihren Posten
ebenfalls los. Nach Auflösung der Funktionärssiedlung Wandlitz hatten
sie keine Wohnung. Also nahm Pastor Holmer (Hans-Uwe Bauer) sie auf
Bitten der Kirchenleitung auf.
Es war eine Art selbst auferlegte Prüfung seiner christlichen
Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Denn die Pastorenfamilie mit zehn
Kindern hatte selbst unter Repressionen gelitten. Keines der Kinder
durfte zu DDR-Zeiten Abitur machen, weil sie sich FDJ und Jugendweihe
entzogen.
Proteste und Bombendrohungen
Die Aufnahme der Honeckers brachte die Pastorenfamilie
zudem in Berührung mit der entfesselten Wut auf den gestürzten
Staatschef: Mehrfach gab es Demonstrationen vor ihrem Haus, Tausende
Protestschreiben, Bombendrohungen sogar.
Das alles hat Pastor Holmer selbst so erzählt, und das macht sich
Liefers für den Film zu eigen. Selge spielt Honecker als höflichen,
zurückhaltenden, gesundheitlich angeschlagenen Mann, der im
Obergeschoss des Pfarrhauses im Fernsehen die Abwicklung des
Sozialismus verfolgt. Seine Frau versorgt den frisch Operierten
pflichtschuldig. Die Pastorenfamilie wiederum übt sich in
Gastfreundlichkeit und schluckt die eigene Wut.
«Die DDR war doch wie eine Familie»
Falls gerade keine Reporter oder Demonstranten vor dem Haus stehen,
spazieren Pastor und Ex-Diktator gemeinsam am nahen See. Holmer
verstrickt Honecker in Gespräche über mögliche politische Fehler und
moralische Einkehr, erntet aber wenig mehr als Gemeinplätze.
«Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser», sagt Honecker zum Beispiel
über die DDR-Staatssicherheit. Schnitzler spielt Margot Honecker
forsch und kühl. Auch von ihr kein Anzeichen von Zweifel oder
Selbstkritik. «Die DDR war doch wie eine Familie», sagt sie dem
Pastor. «Wer sich an die Regeln gehalten hat, der hat gut gelebt.»
Liefers inszeniert das alles meist ruhig, aber auch mit kuriosen
Regieeinfällen. So lässt er das Besteckgeklapper des ersten
Abendessens der Familie mit den ungebetenen Gästen in ein
Percussionsolo übergehen. Die Honeckers lässt er zu Beginn mit großem
Kraftaufwand und Gerumpel das Doppelbett auseinander schieben - eine
Groteske.
Und sein «Tatort»-Kollege Axel Prahl hat ein brillantes,
aber auch irritierend lustiges Gastspiel als Herr Schimke, ein
Bewohner des ursprünglich als Obdachlosenheim gegründeten Anwesens
Lobetal, für das Pastor Holmer zuständig ist. So hinterlässt Liefers'
Film das Gefühl: Ja, so könnte es gewesen sein, aber mit einer
seltsamen Brechung, wie das ferne Echo einer surreal anmutenden Zeit.