Wenige Wochen vor seinem 85. Geburtstag steht Harvey Keitel in Hollywood im Rampenlicht - Seite an Seite mit seinen «Pulp Fiction»- Kollegen Uma Thurman, John Travolta und Samuel L. Jackson. Mitte April feierten die Stars in dem berühmten TCL Chinese Theatre das 30. Jubiläum des Kultstreifens.
1994 holte Quentin Tarantino für den Gangsterfilm im Drogen- und Killermilieu von Los Angeles ein Star-Ensemble vor die Kamera. Die schwarze Komödie mit ihren lakonischen Dialogen und brutaler Action gewann damals in Cannes die Goldene Palme.
Keitel, der heute 85 Jahre alt wird, spielte darin den Helfer eines Mafiabosses, der Verbrechen vertuschen muss. Er sei «Der Wolf», der Probleme löst, stellt sich Keitel in einer ikonischen Szene vor. Dann treibt er die beiden etwas dümmlichen Killer Vincent und Jules (John Travolta und Samuel L. Jackson) dazu an, ein blutverschmiertes Auto zu säubern und alle Leichenteile zu entsorgen. Schon in Tarantinos Erstlingsfilm «Reservoir Dogs - Wilde Hunde» (1992) spielte Keitel einen kaltblütigen Verbrecher.
Mal Bösewicht, mal Liebhaber
Keitel perfektionierte die Bösewicht-Rolle. Mit seinem leicht verwitterten Gesicht, knorriger Nase, Stirnfurche und einem grimmigen Blick zählte er lange zu Hollywoods Idealbesetzung für korrupte Polizisten, abgebrühte Verbrecher und frustrierte, gewalttätige Männer. In Martin Scorseses «Taxi Driver» (1976) war er der brutale Zuhälter, in «Die letzte Versuchung Christi» (1988) der verräterische Judas, in «Bad Lieutenant» (1992) ein drogendealender Cop.
Er kann aber auch anders. In Jane Campions Romanze «Das Piano» (1993) zeigte Keitel in einer seltenen Liebhaberrolle seine Wandlungsfähigkeit. Holly Hunter übernahm den Part einer stummen Engländerin, die im 19. Jahrhundert eine leidenschaftliche Affäre in Neuseeland beginnt.
Melancholisch gab sich Keitel an der Seite von Michael Caine in dem Film «Ewige Jugend» (2015) des italienischen Oscar-Preisträgers Paolo Sorrentino. Zwei alte Freunde sinnieren in einem Schweizer Berghotel über die glücklichen Momente des Lebens. Es geht auch lustig, wie Keitel zusammen mit Robert De Niro in dem Comedy-Drama «The Comedian» bewies - oder als tätowierter Gefangener namens Ludwig in Wes Andersons Tragikomödie «Grand Budapest Hotel».
Neues Projekt
Zu seinem 85. Geburtstag meldet sich Keitel mit einer ungewöhnlichen Rolle in der sechsteiligen Serie «The Tattooist of Auschwitz» (in Deutschland ab 8. Mai bei Sky zu sehen) zurück. Sie beruht auf den Erlebnissen des slowakischen Juden Lale Sokolov, inspiriert von dem Bestseller «Der Tätowierer von Auschwitz: Die wahre Geschichte des Lale Sokolov» (2018) der neuseeländischen Autorin Heather Morris.
Sokolov kam 1942 in das Vernichtungslager der Nazis und wurde dort dazu verpflichtet, auf die Arme von Mithäftlingen Identifikationsnummern zu tätowieren. Dort lernte er seine spätere Frau Gita kennen. Erst mit weit über 80 Jahren vertraute der Witwer seine Geschichte der Schriftstellerin Morris an. Keitel spielt den ergrauten Holocaust-Überlebenden, der auf sein Leben zurückblickt.
Keitel selbst wurde 1939 als jüngstes Kind jüdischer Einwanderer aus Polen und Rumänien in New York geboren. Sein Handwerk als Schauspieler lernte er in dem legendären Actors Studio von Lee Strasberg. In Dutzenden Rollen stand er zunächst auf Bühnen und trat am Broadway auf.
Der Karriereweg
Seinen Einstieg ins Filmgeschäft hatte er vor allem Martin Scorsese zu verdanken. Eine Zeitungsanzeige brachte sie zusammen. Als junger Schauspieler habe er 1967 auf eine Annonce des damals unbekannten Regie-Studenten Scorsese geantwortet. Der suchte Darsteller für seinen ersten Spielfilm «Wer klopft denn da an meine Tür?», erzählte Keitel 2016 auf dem Filmfest in Locarno, wo er mit dem «Lifetime Achievement Award» für sein Lebenswerk geehrt wurde. Nach einigen Vorsprechproben habe er die Rolle bekommen.
Nach weiteren gemeinsamen Filmen - «Hexenkessel» (1973), «Alice lebt hier nicht mehr» (1974), «Taxi Driver» (1976) und «Die letzte Versuchung Christi» (1988) - holte Scorsese den Darsteller 2019 für seinen Mafiathriller «The Irishman» wieder vor die Kamera. An der Seite von Robert De Niro, Al Pacino und Joe Pesci schlug Keitel in der Rolle des Italo-Gangsters Angelo Bruno als Boss eines Mafia-Clans in Philadelphia zu.
Einen Oscar hat Keitel in seiner langen Filmkarriere bisher nicht gewonnen. Nur einmal war er für Hollywoods höchsten Preis nominiert - 1992 in der Rolle des Gangsters Mickey Cohen in dem Mafia-Film «Bugsy».
Keitel ist dreifacher Vater. Aus seiner langjährigen Beziehung mit der Schauspielerin Lorraine Bracco stammt Tochter Stella. 2001 brachte seine damalige Freundin einen Jungen zur Welt. Im selben Jahr heiratete er die kanadische Schauspielerin Daphna Kastner, mit der er ebenfalls einen Sohn hat.