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Therapeutisches Schreiben: Der kreative Weg nach innen

Richtig eingesetzt gilt therapeutisches Schreiben als probates Werkzeug in Psychotherapie und Selbsthilfe. Wie gut wirkt die kreative Arbeit? Für wen ist sie geeignet? Tipps für den Start.
Ein Mann schreibt in ein Notizheft am Schreibtisch
Die Gedanken fließen lassen - und zwar aufs Papier: Das kann entlasten, aber auch helfen, das eigene Leben zu gestalten. © Clique Images/Westend61/dpa-tmn

Es kostet nichts, geht und wirkt schnell, funktioniert überall und könnte als Basis für ein mental gesundes Leben taugen. Kreatives oder therapeutisches Schreiben soll dabei helfen, an die eigenen unbewussten Anteile zu gelangen, die nicht so einfach zu benennen oder darzustellen sind. «Es ist der Einstieg in einen Prozess, an dessen Ende man sich selbst etwas besser kennt», sagt Adak Pirmorady von der Berliner Charité.

Das klingt erst einmal einfach und plakativ, bedeutet aber eventuell auch, schmerzhafte Punkte zu treffen, so die Psychoanalytikerin: «Wir haben alle Anteile in uns, die wir nicht als gewinnbringend empfinden, die uns sogar stören.»

Therapeutisches Schreiben sei daher für alle geeignet, die sich mehr Klarheit erhoffen, sagt Schreibtherapeutin Doris Hönig. Aber auch Menschen in einer Midlife-Crisis, nach einer Krankheitsdiagnose oder Personen, die einen geliebten Menschen verloren haben, könnten sich auf diesem Weg aus der Krise heraus kämpfen.

«Es braucht die Menschen, für die das passt», sagt Pirmorady. Also Personen, die Spaß am Ausdruck, an Sprache haben und für die Schreiben (mit der Hand wohl bemerkt) keine Schwierigkeit darstellt. Das Schreiben sei ein therapeutischer Prozess, der immer gut begleitet werden müsse. Patienten mit schwerwiegenderen Störungen (wie beispielsweise einer posttraumatischen Belastungsstörung) bräuchten parallel auch psychotherapeutische Betreuung. «Dennoch ist das therapeutische Schreiben eine sehr gute Möglichkeit, auch mit solchen Erkrankungen umzugehen», so Pirmorady. Gerade bei Depressionen oder auch als Begleitung einer Krebstherapie sei das Schreiben gut einsetzbar.

Wenn das Unterbewusstsein arbeitet

Also Zettel oder Block schnappen, Stift gezückt und los geht’s. Mehr braucht es nicht. Doris Hönig empfiehlt, mit einem Stift zu schreiben. «Man ist in der Regel langsamer als beim Tippen, währenddessen kann das Unterbewusstsein arbeiten», sagt sie. Und man ist weniger versucht, einen fertigen Text zu produzieren oder Wörter zu korrigieren.

Aber warum funktioniert das so gut? Die Wissenschaft weiß das bis heute trotz Studien noch nicht so genau, sagen die Expertinnen. Der Ursprung liegt im expressiven Schreiben, das James W. Pennebaker etabliert hat, ein mittlerweile emeritierter Professor der Psychologie an der Universität in Austin, Texas. 

Er hat verschiedene Bücher zum Thema geschrieben, auch mit Tipps und Anleitungen. In seiner Arbeit mit Studierenden stellte er fest, dass das Schreiben über traumatische Erlebnisse entlastet. Zudem fand er heraus, dass das Immunsystem gestärkt wird, weil man entspannter ist, optimistischer und ruhiger.

Schreiben als Automatismus

Das Schreiben lenkt erst einmal ab, erklärt Pirmorady, wir tun etwas, was wir verinnerlicht haben. «Das Hirn ist zunächst beschäftigt, das nutzen wir als Einstieg ins Unbewusste.» Unser Hirn funktioniere im Wachzustand ähnlich wie beim Träumen, es würden ähnliche Areale aktiviert und Bilder generiert. «Wir können also allein durch Imagination Dinge trainieren, und das ist überhaupt nicht esoterisch gemeint», sagt die Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. 

Spitzensportler nutzen diese Fähigkeit bereits seit Jahren, beispielsweise indem sie sich einen Sprung extrem detailreich vorstellen. Auch beim Schreiben imaginiert man aktiv und kann so sein Leben selbst in die Hand nehmen und gestalten.

Schreiben mit mehr oder weniger Struktur

Dabei gibt es unterschiedliche Methoden für den kreativen Weg nach innen: freies Schreiben oder Schreiben mit mehr Struktur und Vorgaben. Beim «Free Writing» fängt man mit einem Gedanken an und schreibt alles auf, was einem in den Sinn kommt. Das kann auch ein Brief sein, den man nicht abschickt und den niemand liest. Etwa an eine Person, mit der es Streit gab, an einen toten Menschen oder an den Krebs, den Tumor, das eigene Ich.

Eine andere Methode könnte das Brainstorming sein. Wer gerade wütend ist, schreibt das Wort Wut in die Mitte und drumherum die Begriffe, die einem dazu einfallen. 

Voraussetzung ist laut Doris Hönig bei allen Methoden: Bewerten und zensieren Sie sich nicht, versuchen Sie, nicht nachzudenken, auch nicht über Grammatik und Rechtschreibung. Für welche Methode man sich letztlich entscheidet, ist Geschmackssache. Wichtig sei aber, sich mindestens zehn Minuten dafür Zeit zu nehmen. «Sie müssen den Punkt überwinden, an dem Sie denken, Ihnen fällt jetzt nichts mehr ein, es ist alles gesagt.» Den Punkt erreichten die meisten schon nach circa fünf Minuten. 

«Dann schaltet sich der innere Kritiker ein, der sich fragt, warum mache ich das eigentlich, reicht doch, besser aufhören, bevor etwas Unangenehmes passiert», sagt die zertifizierte Schreibtherapeutin. Dann gelte es, die Hand immer in Bewegung zu lassen, und Wellenlinien zu malen oder genau die Gedanken aufzuschreiben, die kommen.

Routine und Rahmen 

Für das therapeutische Schreiben kann es einfacher sein, ein Gegenüber zu haben, das Impulse gibt und Fragen stellt, so wie Doris Hönig es anbietet. Auch Adak Pirmorady verteilt in ihren Gruppen, die sie an der Charité betreut, Aufgaben, wie: Sie bekommen einen ungebetenen Gast, was machen Sie? 

Fragen zum Einstieg könnten sein: Wie geht es mir gerade? Wie fühle ich mich? Was war das heute für ein Tag? Was hat mich gestresst? Wenn es dann in eine ganz andere Richtung geht, lassen Sie sich treiben. Wem keine Fragen einfallen, kann sich auch entsprechende Bücher besorgen, die Fragen oder Übungen vorgeben.

Es kann hilfreich sein, das Schreiben zur Routine werden zu lassen, sagen die Expertinnen. Eine Möglichkeit wäre, sich morgens oder abends zehn Minuten Zeit zu nehmen oder sich zwei Seiten als Ziel zu setzen, egal, ob einem direkt etwas einfällt oder nicht. «Je regelmäßiger man es macht, desto leichter wird es einem fallen», sagt Doris Hönig.

Eine andere Variante sieht vor, dem therapeutischen Schreiben einen Rahmen zu geben, indem man sich selbst Zuwendung schenkt. Hier könnten Rituale dazu beitragen, den Rahmen zu gestalten, schlägt Adak Pirmorady vor. Suchen Sie sich einen ruhigen Ort, keine Störung durch das Smartphone, vielleicht kochen Sie sich einen Tee oder zünden eine Kerze an, alles, was für Sie eine angenehme Atmosphäre schafft. «Allein die Fähigkeit, sich diesen geschützten Raum zu geben, wird bei manchen, die das nicht gewohnt sind, etwas auslösen.»

So wertvoll kreative Arbeit auch ist, es gehe dabei nicht um Selbstoptimierung, sagt Adak Pirmorady. Sondern: «Es geht darum, uns besser zu verstehen und das Verständnis zu nutzen, um unsere Bedürfnisse besser wahrzunehmen und umsetzen zu können.»

© dpa ⁄ Bernadette Winter, dpa
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