In der Welt der Unterhaltung faszinieren und erschrecken wahre Geschichten das Publikum oft mindestens ebenso wie fiktionale Erzählungen. Die Netflix-Dokumentation Bad Surgeon: Liebe unter dem Messer ist ein solches Werk.
Sie befasst sich mit der erschütternden Realität hinter den Schlagzeilen über einen umstrittenen Chirurgen. Dr. Paolo Macchiarini geriet nach mehreren experimentellen Operationen ins Kreuzfeuer der Justiz.
Dieser Artikel erzählt die wahre Geschichte hinter dem Aufstieg und Fall eines Chirurgen, der einst als Visionär gefeiert wurde.
Wer ist Dr. Paolo Macchiarini?
Der in der Schweiz geborene Chirurg Dr. Paolo Macchiarini absolviert sein Medizinstudium in Italien und vertieft seine chirurgischen Kenntnisse in verschiedenen Ländern, darunter Deutschland, Frankreich und Spanien. Sein Spezialgebiet ist die regenerative Medizin, die sich vor allem mit der Wiederherstellung funktionsgestörter Zellen, Gewebe und Organe befasst.
Besondere Aufmerksamkeit erregen seine scheinbar revolutionären Methoden der Luftröhrentransplantation. Macchiarini transplantiert künstliche und organische Luftröhren verstorbener Spender:innen und behandelt diese mit Stammzellen der Empfänger:innen.
2008 erlangt Macchiarini mit dieser Technik Weltruhm. Claudia Lorena Castillo Sánchez litt jahrelang unter Atembeschwerden und drohte aufgrund einer schweren Tuberkulose-Infektion des linken Hauptbronchus einen Lungenflügel zu verlieren. Rund vier Monate nach der Operation befindet sich die 30-jährige Kolumbianerin ohne Komplikationen auf dem Weg der Besserung.
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Dr. Macchiarinis revolutionäre Transplantationstechnik
Seine Technik soll die Abstoßungsrate bei Transplantationen verringern und die Lebensqualität der Empfänger:innen verbessern. Zwei Jahre nach der erfolgreichen Operation von Claudia Sánchez arbeitet Macchiarini am renommierten Karolinska-Institut (KI) in Schweden und an der russischen Kuban Universität in Krasnodar.
Das KI ist eines der renommiertesten medizinischen Institute Europas und Sitz der Nobelversammlung, die jährlich den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin vergibt. 2011 sorgt Macchiarini erneut für Schlagzeilen. Andemariam Teklesenbet Beyene, ein Student aus Eritrea, erhält nach einer Krebsbehandlung eine vollsynthetische Luftröhre, die mit seinen eigenen Markzellen besiedelt worden ist.
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Die Medien berichten ausführlich über die Operation. Der 36-Jährige leidet an einem Speiseröhrentumor von der Größe eines Golfballs, der die Luftröhre blockiert. Dr. Macchiarini und sein Team verpflanzen ihm ein synthetisches Luftröhrengerüst, das zuvor mit Beyenes Stammzellen bestückt und 36 Stunden lang in einem Bioreaktor kultiviert worden war.
In einer zwölfstündigen Operation wird der Tumor entfernt und die künstliche Luftröhre eingesetzt. Nach Angaben des Karolinska-Instituts ist dieses Verfahren zu diesem Zeitpunkt einzigartig in der Medizingeschichte. Nach zwei Monaten kann Beyene das Krankenhaus verlassen und seine Doktorarbeit abschließen. Ein Happy End soll es jedoch nicht geben.
Erste Zweifel an Macchiarinis Methoden
Macchiarinis Erfolge gelten zu diesem Zeitpunkt als Meilenstein in der Transplantationsmedizin. Die von ihm entwickelten Verfahren scheinen das Potenzial zu haben, das Leben von Tausenden von Menschen mit schweren Atemwegserkrankungen zu verbessern.
Doch die strahlende Fassade bekommt Risse, als Berichte über postoperative Komplikationen und Zweifel an der Validität seiner Forschungsergebnisse auftauchen. Die Wissenschaft beginnt langsam, die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit von Macchiarinis Methoden in Frage zu stellen.
2014 legen Kolleg:innen offiziell Beschwerde gegen Macchiarini ein. Er habe schwere Komplikationen in den Unterlagen absichtlich verschwiegen und nie eine ordnungsgemäße ethische Genehmigung für die Operationen eingeholt. Auch eine Tierversuchsstudie zu seiner Technik wird kritisiert.
Es kommt zu externen Untersuchungen, die das Fehlverhalten Macchiarinis 2015 bestätigen. Dennoch darf er seine Arbeit zunächst fortsetzen und die Universitätsleitung weist sämtliche Vorwürfe zurück. Macchiarini habe während der Untersuchung alle Fragen zufriedenstellend beantwortet.
Macchiarini sorgt für Skandal am Karolinska-Institut
Diese Entwicklungen sollen allerdings bald zu einem Skandal am Karolinska-Institut führen. Der schwedische Fernsehsender SVT deckt 2016 auf, dass zwei von drei Patient:innen von Macchiarini nach seinen Operationen in Stockholm starben.
Es kommt erneut zu Untersuchungen, die den ursprünglichen Verdacht bestätigen. Im November 2016 entlässt das Karolinska-Institut Dr. Paolo Macchiarini. Ein Jahr später erhebt die schwedische Staatsanwaltschaft Anklage gegen den ehemaligen Starchirurgen.
Der Fall führt auch zu einer Reihe von Kündigungen und Rücktritten am Karolinska-Institut. Im Februar 2017 tritt der Sekretär des Nobelkomitees für Medizin, Urban Lendahl, zurück.
Kurz darauf folgen Anders Hamsten, Vizekanzler des Instituts, und Vizekanzlerin Harriet Wallberg. Der Vorwurf: Die Führungsmitglieder des Gremiums hätten es versäumt zu handeln, als die ersten Zweifel an Macchiarini aufkamen.
Die Opfer: Sieben Behandlungen verlaufen tödlich
Es stellt sich heraus, dass Macchiarinis Methoden bei weitem nicht so erfolgreich waren, wie er und seine Anhänger:innen behaupteten. Die Verwendung synthetischer Luftröhren, die mit Stammzellen besiedelt sind, hat sich als nicht so sicher und wirksam erwiesen, wie in seinen Veröffentlichungen dargestellt.
Sieben Menschen starben nach den Eingriffen Macchiarinis. Unter den Opfern ist auch Hannah Warren, ein zweijähriges Mädchen, das ohne Luftröhre geboren wurde. Sie erhielt im April 2013 eine mit Stammzellen besiedelte, vollsynthetische Luftröhre. Trotz einer weiteren Operation starb sie im Juli 2013 an Komplikationen.
Auch Andemariam Teklesenbet Beyene, der 2011 operiert worden war, starb im Januar 2013 nach zahlreichen Behandlungen am KI. Eine Autopsie zeigt, dass sich die künstliche Luftröhre gelöst hatte. 2017 verstirbt auch die 26-jährige Yesim Cetir nach Eingriffen in den Jahren 2012 und 2013.
Neben seiner Tätigkeit am Karolinska-Institut führte Maccharini auch vier Operationen in Russland durch. Die Patient:innen Yulia Tuulik, Aleksandr Zozulya und Sadiq Kanaan starben nach ihren Operationen. Nur Dimitry Onogda überlebt, nachdem ihm das Implantat 2014 wieder entfernt worden war.
Bad Surgeon: Erstes Verfahren im Fall Dr. Macchiarini
Der Fall Dr. Macchiarini wird zum Brennpunkt einer Debatte über medizinische Ethik und die Verantwortung von Wissenschaftler:innen gegenüber ihren Patient:innen. Im April 2022 beginnt der Prozess gegen den mittlerweile 63-jährigen Chirurgen.
Der Vorwurf: Schwere Körperverletzung in drei Fällen in den Jahren 2011 und 2012, verursacht durch ein gefährliches experimentelles Verfahren. Die Staatsanwaltschaft wirft Macchiarini vor, Patientensicherheit und ethische Standards missachtet zu haben. Die Verteidigung hingegen argumentiert, Macchiarini habe im besten Interesse seiner Patient:innen gehandelt.
Die folgenden Prozesse dauern mehr als ein Jahr. In erster Instanz wird Macchiarini nur in einem von drei Fällen schuldig gesprochen und zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Zwar seien die Eingriffe nicht im Einklang mit der Wissenschaft durchgeführt worden, doch könne Macchiarini aufgrund der anfänglich lebensbedrohlichen Prognosen der Patient:innen nicht zur Verantwortung gezogen werden.
Für den Tatbestand der schweren Körperverletzung fehlen dem Gericht eindeutige Beweise dafür, dass der Chirurg die Folgen der Eingriffe gleichgültig hinnahm. Stattdessen wurde Macchiarini der Fahrlässigkeit und Körperverletzung schuldig gesprochen.
Endgültiges Urteil: Macchiarini geht ins Gefängnis
Sowohl die Staatsanwaltschaft, die fünf Jahre Haft gefordert hat, als auch die Verteidigung gehen in Berufung. Kritiker:innen und Fachleute sind entsetzt. Expert:innen halten das Strafmaß für zu gering und fordern eine Anklage wegen Totschlags.
Macchiarinis ehemaliger Kollege am Karolinska-Institut, Matthias Corbascio, zeigt sich nach dem Urteil empört: „Manche Leute gehen für fünf Jahre ins Gefängnis, weil sie ihre Steuern nicht bezahlen. Dieser Typ hat Menschen verstümmelt.“ Corbascio ist einer der fünf Kollegen, die 2014 beim KI offiziell Beschwerde gegen Macchiarinis Methoden einreichten.
Im Juni 2023 fällt das Stockholmer Berufungsgericht erneut ein Urteil – und diesmal trifft es Macchiarini härter. Der Arzt wird wegen schwerer Körperverletzung in allen drei Fällen zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt.
Alles über die wahren Begebenheiten hinter den Murdaugh-Morden liest Du hier.
Die Staatsanwaltschaft kann beweisen, dass zwei der Patient:innen durch weniger experimentelle Eingriffe hätten überleben können. Auch im dritten Fall sei der Eingriff trotz Notfallsituation unverantwortlich gewesen. Richterin Maria Holcke erklärt zudem, dass Macchiarini vorsätzlich gehandelt habe.
Wahre Geschichte: Macchiarini auch privat ein Schwindler
Dr. Paolo Macchiarini gerät durch seine Beziehung zu der NBC-Produzentin Benita Alexander auch in einen persönlichen Skandal. Alexander lernte Macchiarini während der Dreharbeiten zu einer NBC-Doku kennen und verliebte sich in ihn.
Die Beziehung nimmt eine ernste Wendung, als Macchiarini ihr einen Heiratsantrag macht. Er plant 2013 eine Märchen-Hochzeit in Italien, bei der Papst Franziskus höchstpersönlich die Zeremonie leiten soll. Macchiarini behauptet, dessen Privatarzt zu sein und eine enge persönliche Bindung zu Franziskus zu haben.
Zudem sei er gut mit dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton befreundet und spiele regelmäßig mit ihm Tennis. Auf die Gästeliste schreibt er große Namen wie die Beckhams, die Obamas und sogar Schauspieler Russel Crowe. Für die musikalische Untermalung soll Star-Tenor Andrea Bocelli und die Pop-Sänger John Legend und Elton John sorgen.
Zeitgleich mit den Untersuchungen gegen Macchiarinis medizinisches Fehlverhalten beginnt aber auch die private Fassade zu bröckeln. Alexander entdeckt, dass viele Details, die Macchiarini über die Hochzeitspläne und sein Privatleben geliefert hat, schlicht erfunden waren. Macchiarini ist zu diesem Zeitpunkt sogar noch mit einer anderen Frau verheiratet.
Ein Artikel im Magazin Vanity Fair, der sich mit dem Fall Macchiarini/Alexander auseinandersetzt, wirft dem gefallenen Mediziner unter anderem vor, auch in seinem Lebenslauf bei seiner Bewerbung für das KI gelogen zu haben. Es besteht also die Möglichkeit, dass Macchiarinis Karriere von Beginn an auf einem Lügenkonstrukt basiert.
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