Die letzten Meter ging Steffi Lemke durch die kleine Trecker-Parade zu Fuß auf die Bauern zu. Deren Protest war eher spontan. Die Landwirte hatten zuvor vom Besuch Lemkes am Dienstag auf dem ökologisch geführten Siebengiebelhof von Ve-Annissa Spindler in Drenkow erfahren. Die Bauern nehmen vor dem Gast aus Berlin kein Blatt vor den Mund. Aber das Treffen endet mit Applaus der Landwirte - derzeit eine eher ungewöhnliche Erfahrung für grüne Minister.
Die Landwirte machten auf ihre Lage mit drastischen Worten aufmerksam. «Wir stehen mit dem Rücken an der Wand», warnte Bauer Helge Dieckmann von der Agrargenossenschaft Brunow in einer Ansprache. Er übergab Lemke einen Zettel mit Forderungen, zu denen unter anderem eine Milchpreisbindung und ein sofortiger Importstopp für alle zollfreien ukrainischen Agrargüter gehören. Das bereite den Bauern massive Probleme.
Den Landwirten geht es auch um Anerkennung. «Wir bekommen keine Akzeptanz in der Gesellschaft und müssen uns dafür rechtfertigen, dass wir Landwirte sind», sagte Dieckmann. Das kann auch Lemke irgendwie nachvollziehen: «Da ist uns etwas entglitten in den letzten Jahren.» Dass die Bauern ihr bei aller Kritik zuhören, liegt auch daran, dass sie in der DDR eine Melker-Lehre absolvierte und zudem Agrarwissenschaften studierte.
Deshalb ist der anschließende Besuch des kleinen Biohofs von Ve-Annissa Spindler kein fremdes Terrain für sie. «Wie spülen sie denn die Milchleitung?», fragt Lemke in dem Zwei-Kühe-Mini-Melkstand. «Solche Fragen hatte ich jetzt nicht erwartet. Cool.», sagt die 33-jährige Spindler und zeigt, wo die an der weiß gekalkten Decke verlaufende Rohrleitung hinführt, und wie sie gereinigt wird.
Die Ministerin streichelt Kühe und Schweine, macht eine kurze Aufnahme für den Social-Media-Channel. Die Sonne scheint, das Fell der rotbunten Kälber glänzt, die Schweine beschnuppern neugierig die Besucher aus der Stadt, der Hahn kräht und eine Katze beäugt die Turnschuhe vor der Bank, die die Ministerin gegen Gummistiefel getauscht hat.
«Ein wenig wie Bullerbü», sagt einer aus der mitgereisten Delegation. Für dieses Idyll muss die Biobäuerin sehr hart arbeiten und die Zukunft des Hofes scheint ungewiss. Sie hat sich dem biologischen Ansatz verschrieben. Die Schweinehaltung lohnt sich eigentlich überhaupt nicht, wenn man die Arbeitskosten zugrunde legt. Und auch 60 Cent Milchpreis pro Liter reichen bei Weitem nicht für diese Art der Produktion.
«Die Kälber bleiben von Tag eins bei der Mutter und werden dann langsam entwöhnt», sagt die aus Schleswig-Holstein stammende Bäuerin, die nicht nur die Kühe ganz alleine melkt. Und wenn geschlachtet wird, dann werden nicht nur Schnitzel angeboten, sondern das ganze Tier wird verwertet. Auch eine eigene Käserei hat der Siebengiebelhof, doch seit Anfang des Jahres werden dafür nur 10 Prozent der Milch aufgewendet, 90 Prozent gehen an die Molkerei. Die Einnahmen reichen hinten und vorne nicht. «Wir werden so nicht ein Jahr weiter machen können», sagt Spindler der Ministerin, und die junge Landwirtin wirkt dabei ratlos.
Dabei sitzen an dieser Stelle die ökologischen und konventionellen Landwirtschaftsbetriebe aus Sicht Lemkes in einem Boot. Die Marktpreise würden so nicht funktionieren. In Deutschland und Europa werde auch aufgrund der strengeren Anforderungen an Lebensmittelqualität und Tierhaltung nicht zu Weltmarktpreisen produziert. «Dafür werden aber im Moment keine einkömmlichen Preise für die Landwirte erwirtschaftet.»
Die heutige Landwirtschaft und das internationale Preisgefüge lassen sich kaum mehr mit der aus früheren Zeiten vergleichen. Aber viele Bauern, die die Zeit miterlebt haben, erinnern sich an die Wertschätzung, die die Gesellschaft einst den Landwirten entgegenbrachte. Bauer Dieckmann gab der Ministerin deshalb ganz zum Schluss noch vier beschriebene Seiten mit, die sie vielleicht auf der Rückfahrt nach Berlin lesen könne. Geschrieben hat sie Dieckmanns 88-jähriger Vater. Auch er war Bauer, wie Dieckmanns Großvater und auch Urgroßvater.