Nach außergewöhnlich heftigen Regenfällen im Süden von Brasilien kämpfen die Menschen in der Region gegen die Wassermassen. Im Bundesstaat Rio Grande do Sul standen große Landstriche unter Wasser, Straßen und Häuser wurden überschwemmt. 116 Menschen kamen infolge des Unwetters bislang ums Leben, wie der örtliche Zivilschutz mitteilte.
«Die Auswirkungen der Überschwemmungen und das Ausmaß der Tragödie sind verheerend», schrieb der Gouverneur von Rio Grande do Sul, Eduardo Leite, auf der Online-Plattform X. Seine Regierung gehe davon aus, dass für den Wiederaufbau mindestens 19 Milliarden Reais (3,4 Milliarden Euro) benötigt werden.
Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva kündigte ein Hilfspaket in Milliardenhöhe für die Region an. «Wir dürfen nicht zulassen, dass die Bürokratie uns daran hindert, den Menschen in Rio Grande do Sul zu helfen», schrieb er auf X. Papst Franziskus sagte als Soforthilfe umgerechnet 100.000 Euro für die Opfer der Überschwemmungen zu, wie die brasilianische Bischofskonferenz mitteilte.
Nach Angaben des Zivilschutzes wurden 756 Menschen verletzt und 143 weitere noch immer vermisst. Von dem Hochwasser seien mehr als 1,9 Millionen Menschen in 437 Ortschaften der Region betroffen. Über 400.000 Menschen hätten ihre Häuser verlassen und bei Angehörigen oder in Notunterkünften Schutz gesucht.
Ohne Strom und Trinkwasser
Zahlreiche Gemeinden im Katastrophengebiet waren von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten. Auch die Telefon- und Internetverbindungen wurden in vielen Ortschaften unterbrochen. Die Luftwaffe brachte Hilfsgüter in die Region, darunter Medizin, Wasseraufbereitungsanlagen und Lebensmittel. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen werde Zelte, Feldküchen, solarbetriebene Lampen und Hygieneartikel bereitstellen, sagte ein UNHCR-Sprecher am Freitag in Genf. In der vom Hochwasser betroffenen Region leben auch etwa 41.000 Flüchtlinge und Migranten aus Venezuela und Haiti.
Auch das katholische Hilfswerk Caritas brachte Hilfsgüter ins Hochwassergebiet. «Dringend gebraucht werden jetzt vor allem Nahrungsmittel und sauberes Wasser, aber auch Kleider und Hygieneprodukte. Das Hab und Gut der Menschen ist schlicht im Hochwasser versunken, sie haben nun nichts mehr», sagte Manuel Brettschneider von Caritas international. «So etwas hat es seit mehr als 80 Jahren nicht mehr gegeben. Man kann von einer Jahrhundertüberschwemmung sprechen, das ist keine Übertreibung.»
Besonders hart traf es die Stadt Canoas. «Die Stadt ist zerstört worden. Von den 27 Gesundheitszentren haben wir 19 verloren. Von den fünf Bezirksapotheken sind vier zerstört», sagte Bürgermeister Jairo Jorge im Fernsehsender Globo TV. «Alle Schulen wurden beschädigt, wir haben Infrastruktur und Sportzentren verloren und müssen alles wieder aufbauen.»
Im Kampf gegen die Fluten waren Tausende Feuerwehrleute und Katastrophenschützer im Einsatz. In Canoas retteten sie am Donnerstag ein Pferd, das auf dem Dach eines Hauses gestrandet war. Das Tier wurde betäubt und in einem Schlauchboot an Land geschafft, wie im Fernsehen zu sehen war. Insgesamt brachten die Einsatzkräfte nach Angaben des Zivilschutzes über 70.000 Menschen und fast 1000 Tiere in Sicherheit.
Weitere Regenfälle vorhergesagt
Der brasilianische Wetterdienst Inmet sagte bis Sonntag weitere starke Regenfälle für die Region voraus. Der Zivilschutz von Rio Grande do Sul gab für einen großen Teil des Bundesstaates eine Warnung vor starkem Regen und heftigem Wind mit Geschwindigkeiten von mehr als 90 Kilometern pro Stunde heraus. Es bestand auch die Gefahr von Gewittern und Hagelschlag.
«Die Regenfälle in Rio Grande do Sul haben alle Rekorde gebrochen. Die Daten zeigen, dass es in weniger als 15 Tagen im ganzen Bundesstaat so viel geregnet hat wie in fünf Monaten zuvor, und es wird eine neue Kaltfront mit noch mehr Regen prognostiziert», sagte der Meteorologe Carlos Nobre der staatlichen Nachrichtenagentur Agência Brasil. «Es wird zwar nicht so viel regnen wie in der letzten Woche, aber die Pegelstände der Flüsse werden hoch bleiben, und die Menschen in den niedrig gelegenen Gebieten werden weiterhin mit Überschwemmungen zu kämpfen haben.»
Brasilien litt zuletzt immer wieder unter extremen Witterungsbedingungen. Ende vergangenen Jahres beispielsweise ächzte das eigentlich feuchte Amazonasgebiet unter einer Jahrhundertdürre und extremer Hitze. Die Pegelstände vieler Flüsse sanken dramatisch, viele Tiere verendeten.
Extreme Wetterereignisse wie die Überschwemmungen im Süden von Brasilien kommen zwar von Natur aus immer mal wieder vor. Nach Einschätzung von Wissenschaftlern erhöht sich durch den Klimawandel allerdings sowohl die Häufigkeit als auch die Intensität. «Der Klimawandel - aufgrund der globalen Erwärmung durch Treibhausgase, die wir in die Atmosphäre freisetzen - ist der Grund dafür, dass extreme Ereignisse immer häufiger auftreten und Rekorde brechen», sagte der brasilianische Meteorologe Nobre.