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Spionage, Bomben, Wissenschaft - Russland feiert Atomenergie

Während sich Deutschland von der Atomenergie verabschiedet, dreht Russland richtig auf. Mit einem neuen Technikmuseum feiert Moskau die Nuklearwissenschaft, gibt Einblicke in die Spionage und Zukunft.
Atom-Museum in Moskau
Atom-Museum in Moskau
Atom-Museum in Moskau
Indiens Premierminister Modi in Moskau
Indiens Premierminister Modi in Moskau

Der riesige Glaspalast mit den großen Buchstaben Atom ist die neueste Attraktion in Moskaus Mega-Freizeit- und Messepark WDNCh. Russland feiert gerade den 85. «Geburtstag» des Geländes mit seinen Pavillons im Stil des sowjetischen Klassizismus. WDNCh steht abgekürzt für Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft – es gibt etwa große Raumfahrtschauen und Architekturtempel, die an frühere Sowjetrepubliken wie Usbekistan und auch die Ukraine erinnern. Der letzte Schrei aber ist der Atom-Pavillon mit sieben Etagen, davon vier unter der Erde, in dem Russland seine Liebe zum Atom und die Nuklearenergie als große wissenschaftliche Errungenschaft der Menschheit feiert.

Es ist eine Zeitreise von den Anfängen mit Atom-Spionage und dem Uranabbau auch in Ostdeutschland, mit dem Bau und dem Test der ersten Bomben über das Unheil wie die Katastrophe in Tschernobyl von 1986 bis in die Gegenwart und Zukunft. Besucher sehen, wie die Nuklearwissenschaftler Technologien heute nutzen, um etwa Lebensmittel haltbarer, Meereswasser nutzbar und die Medizin fortschrittlicher zu machen. Vorgestellt wird in der facettenreichen Propagandaausstellung der Atomholding Rosatom nicht zuletzt der neue Atomeisbrecher «Leader», der sich auf dem Video mühelos durch die Arktis gräbt – und die Nordostpassage zu einem der am meisten benutzten Schifffahrtswege machen soll.

Von einer «grandiosen Demonstration der Rolle nuklearer Technologien» beim wissenschaftlichen Fortschritt und bei der Energiesicherheit für die Menschheit spricht Indiens Premierminister Narendra Modi bei einer Führung mit Kremlchef Wladimir Putin im Juli. «Ich bin sicher, dass die Ausstellung viele junge Menschen inspirieren wird, sich in das Reich der Kernenergie und -technologie zu vertiefen - zum Wohle künftiger Generationen und unseres Planeten», schrieb er in das Buch für Ehrengäste. Russland, das machte Modi deutlich, ist Schlüsselpartner bei der Nutzung der Atomenergie in Indien.

Aus der DDR kam der Stoff für die sowjetischen Atombomben

Der indische Gast sieht auch großen «Unterhaltungswert» in dem Pavillon, der tief unter der Erde mit bunkerähnlichen Sälen in schummrigem Licht beginnt. Da ist ein deutscher Verladebahnhof mit Uranfässern nachgebaut. Erinnert wird an das Bergbauunternehmen Wismut – aber nicht an die schweren Folgen für die Gesundheit der Bergarbeiter und für die Umwelt in der DDR. Wismut galt einst als wichtigster Auslandsbetrieb der Sowjetunion für die Urangewinnung – zum Bau von Atombomben.

Der Saal ist als eine Art Würdigung gedacht für die Rolle der DDR als Lieferant von Spaltmaterial im Kalten Krieg. «Zu den Arbeiten wurden Zehntausende Menschen herangezogen, die rund 100 Tonnen Uran im Jahr förderten!», heißt es auf einer Tafel. So habe die Atombombe in kürzester Zeit entstehen können.

Auch sonst sind die ersten Hallen im tiefsten Geschoss des Museums den Anfängen gewidmet. Ein wie ein Labor für die Auswertung von Spionagefotografie hergerichteter Saal erzählt von den großen sowjetischen Agenten, die im Westen – auch von den Deutschen -Informationen abzogen. Verewigt ist da Klaus Fuchs, ein deutscher Physiker und Kommunist, der in den USA am Atomprojekt mitarbeitete und den sowjetischen Agenten Dokumente übergab, mit denen Wissenschaftler in dem Land ihre Arbeit beschleunigen konnten.

Atombombentest als Besucherspektakel

Nachbauten von Wohnräumen zeigen, wie Menschen im Kalten Krieg in den USA und in der Sowjetunion lebten. Ein Bereich widmet sich dem ersten sowjetischen Atomtest in Kasachstan – vor 75 Jahren am 29. August 1949 rund 170 Kilometer von der Stadt Semipalatinsk entfernt. Durch einen Schlitz aus Beton schauen Besucher auf eine Steppenlandschaft, aus der nach der Explosion ein gewaltiger Atompilz gen Himmel steigt.

Ausführlich zu Wort kommt auch der Atomphysiker Andrej Sacharow, der wie der ebenfalls gewürdigte US-Physiker Robert Oppenheimer vor den Gefahren der Atomwaffen warnte. In einem kleinen Kinosaal läuft ein Interview Sacharows, der von einem der Erfinder der sowjetischen Wasserstoffbombe zu einem der wichtigsten Menschenrechtler des Landes wurde. Im Mittelpunkt eines Saals hängt auch ein Modell der Zar-Bombe, einer Wasserstoffbombe mit damals beispielloser Sprengkraft.

Die neben den USA größte Atommacht erinnert aber auch in einem Saal an zahlreiche nukleare Abrüstungsverträge, die heute Geschichte sind. Kremlchef Putin weist heute in seinem Konflikt mit dem Westen im Krieg in der Ukraine immer wieder in drohendem Ton auf Moskaus Potenzial an Massenvernichtungswaffen hin. Zugleich warnt er vor einem neuen Wettrüsten und plädiert für neue internationale Sicherheitsverträge. Gespräche mit den USA dazu sind aber nicht in Sicht.

Werbeschau für die Atomenergie

In der Schau dringt zwar an vielen Stellen Stolz auf die Waffen durch – zu sehen sind auch Modelle von Raketen und ein begehbares Atom-U-Boot-Modell. Deutlich wird aber vor allem, dass Russland Werbung macht für die friedliche Nutzung von Atomenergie, für den Bau neuer Kraftwerke und die Zukunftsstadt Atomgrad, die es schon als Modell hier gibt samt Popsong mit der Liedzeile «Unsere atomare Liebe, unsere atomare Liebe».

Neben neuen AKW-Modellen bekommen die alten Visionen von einem atomar betriebenen Auto und Hubschrauber Raum. Russland präsentiert sich hier auch anderen Staaten als Partner für den Bau von Kernkraftwerken. Mehr als ein Dutzend Länder erhalten atomaren Brennstoff aus Russland, das zu den größten Uranproduzenten gehört. Es ist der Gegenentwurf zum Abschied von der Atomkraft in Deutschland, was in Russland immer wieder auf Unverständnis stößt.

Der in sechs Jahren Bauzeit errichtete Atom-Pavillon, sagt der für Energiefragen zuständige Vizeregierungschef, Alexander Nowak, zeige die große Zukunft Russlands auf. Rosatom-Chef Alexej Lichatschow muss fast von Amts wegen vom «besten Technikmuseum des Planeten» sprechen, das allein jetzt im ersten Jahr Millionen Besucher erwarte. Für Schulen gibt es Labors, eine Bibliothek, Wissenschaftswettbewerbe und Praktika. Und zum Pavillon gehören Konferenzsäle für wissenschaftliche Tagungen, ein ultramoderner Kinosaal, in dem gerade ein Wissenschaftsfilmfestival läuft und ein großes Dachrestaurant samt Terrasse, die den Blick freigibt auf einen Teil des riesigen WDNch-Geländes.

© dpa ⁄ Ulf Mauder, dpa
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