Nach dem Scheitern der Gespräche zwischen Regierung und CDU/CSU über die Eindämmung irregulärer Migration macht Unionsfraktionschef Friedrich Merz ein neues Angebot: Deutschland solle umfassende Zurückweisungen an den Grenzen ab dem 1. Oktober zunächst drei Monate lang testen. Allein die Signalwirkung werde den Zustrom von Migranten in kürzester Zeit stark reduzieren, sagte er der Funke-Mediengruppe. «Nach den drei Monaten ziehen wir dann Bilanz.» Die Bundesregierung werde vielleicht dann erkennen, dass dies richtig sei. Umfassende Zurückweisungen an den Grenzen seien kurzfristig der einzig effektive Weg, um die irreguläre Migration nach Deutschland zu beenden, betonte Merz.
Bei den Grünen kam sein Vorschlag schlecht an. «Merz' Vorschlag wird dadurch nicht richtiger und rechtskonformer, dass er zeitlich befristet wird», sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin, Irene Mihalic, der Deutschen Presse-Agentur. Dass Merz «trotz mehrfach bescheinigter Rechtswidrigkeit daran festhält, zeigt, dass die Union völlig blank ist». Diese «Abschottungsdebatte» spalte die Gesellschaft und müsse jetzt aufhören.
Merz zeigte sich auch offen für neue Gespräche auf höchster Ebene mit der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP. «Wenn (FDP-Chef) Christian Lindner überzeugt ist, dass ein Gespräch auf Chefebene uns näher an eine echte Wende in der Asyl- und Migrationspolitik bringt, dann stehe ich selbstverständlich zur Verfügung», sagte Merz den Funke-Medien.
Dazu sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr, er freue sich, «dass auch Herr Merz jetzt einen Schritt gemacht hat». Damit rücke ein überparteilicher Schulterschluss zur Lösung des Migrationsproblems deutlich näher, für den seine Fraktion von Anfang an geworben habe.
Lindner hatte Spitzengespräch zu Migration vorgeschlagen
Lindner lobte ebenfalls, es sei gut, dass sich Merz offen für weitere Gespräche zeige. «Da sollte man jetzt nicht zurückschauen, wie waren die letzten Tage, sondern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger an der Lösung weiterarbeiten, miteinander.» Es brauche einen «Schulterschluss der staatstragenden demokratischen Parteien». Weder die Union noch die SPD, die Grünen oder die FDP könnten mit dem Thema Migration gewinnen.
Auf die Frage, ob Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Merz nach den spitzen Aussagen der vergangenen Tage überhaupt noch an einen Tisch kommen könnten, sagte Lindner: «Wir sind doch erwachsene Leute.»
Lindner hatte nach dem Scheitern der Migrationsgespräche zwischen Ampel-Regierung und Union am Dienstag einen neuen Anlauf auf höchster Ebene gefordert. Merz solle mit Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst persönlich verhandeln.
Die Unionsfraktion fordert konkret, auch solche Migranten zurückzuweisen, die schon in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder des Schengen-Raums aufgenommen wurden «oder die einen Asylantrag auch in einem Staat, aus dem sie einreisen wollen, stellen können». Dies würde praktisch alle Ausländer betreffen, die auf dem Landweg nach Deutschland kommen.
Breite Zustimmung für neues Sicherheitspaket
Für die Maßnahmen des sogenannten Sicherheitspakets der Ampel-Koalition gab es am Donnerstag im Bundestag breite Zustimmung - auch wenn sich die Union mehr erhofft hätte. Das zeigte sich bei den ersten Beratungen zu den Gesetzesänderungen. Die vorgelegten Entwürfe enthielten «viele vernünftige Maßnahmen», auch wenn umfassende Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und weitere Möglichkeiten der Bekämpfung von irregulärer Migration und Terrorismus darin fehlten, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU).
Die von SPD, Grünen und FDP vorgelegten Gesetzentwürfe umfassen unter anderem eine Verschärfung des Waffenrechts in Bezug auf das Mitführen von Messern in der Öffentlichkeit, die Streichung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für Menschen, für deren Asylverfahren ein anderer Staat zuständig ist und deren Abschiebung bereits angeordnet ist.
Geplant ist zudem die Befugnis zum biometrischen Abgleich von öffentlich zugänglichen Daten aus dem Internet, damit die Sicherheitsbehörden mutmaßliche Terroristen und Tatverdächtige künftig besser identifizieren und lokalisieren können.
Keine Messer mehr bei Volksfesten
Bei Volksfesten und anderen öffentlichen Veranstaltungen, an Orten mit hoher Kriminalitätsbelastung, im Öffentlichen Personenverkehr und an Haltestellen soll der Umgang mit Messern künftig unabhängig von der Klingenlänge untersagt werden beziehungsweise untersagt werden können, um Angriffen mit Messern und Gewalttaten besser vorzubeugen. Zur Überprüfung der Einhaltung der neuen Verbote soll es erweiterte Kontrollbefugnisse geben.
Es werde alles getan, «was praktisch möglich und rechtlich möglich ist», um für Sicherheit der Bürger zu sorgen, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Die Bundesregierung handele mit Augenmaß und ohne Ressentiments zu schüren.
In Solingen waren bei einem mutmaßlich islamistischen Messerattentat auf einem Stadtfest im August drei Menschen getötet und acht weitere verletzt worden. Ein 26-jähriger Syrer sitzt wegen der Tat in Untersuchungshaft. Der Mann hätte eigentlich 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, was aber scheiterte.
Der Solinger SPD-Bundestagsabgeordnete, Ingo Schäfer, sagte: «Die Tat traumatisiert bis heute meine Heimatstadt.» Das «Sicherheitspaket» sei ein erster Schritt, um Konsequenzen zu ziehen.
Die AfD-Fraktion äußerte sich unzufrieden über die Gesetzespläne. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer, Bernd Baumann, sagte: «Wer eine echte Migrationswende will, der muss AfD wählen.» Der innenpolitische Sprecher, Gottfried Curio, sprach die am übernächsten Wochenende anstehende Landtagswahl in Brandenburg direkt an und sagte: «SPD und Grüne sind sterbende Parteien».
Die scheidende Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, sagte: «Wir verteidigen das Recht auf Asyl und wir verteidigen die Menschenrechte.» Bundestagspräsidentin Bärbel Bas erteilte Wissler eine Rüge, weil sie die AfD-Fraktion in ihrer Rede als «Stinktier» bezeichnete.
Über die zwei Gesetzentwürfe der Ampel-Koalition sowie über Vorschläge zur Migrationspolitik von Union und AfD sollen nun die Ausschüsse beraten.