Nach dem Scheitern der Migrationsgespräche zwischen Regierung und Union haben sich Kanzler Olaf Scholz und CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag gegenseitig die Schuld zugewiesen. In der Generaldebatte des Bundestags warf Scholz dem Oppositionsführer in einer ungewöhnlich scharfen Rede vor, von vorneherein keine Einigung angestrebt und bei den Migrationsgesprächen einem «Drehbuch» des Scheiterns gefolgt zu sein. «Sie haben sich in die Büsche geschlagen», sagte der Kanzler. Merz wies das empört zurück: «Diese Behauptung ist infam.»
Merz will über Migration nur noch im Bundestag reden
Der Kanzler bot dem CDU-Chef zwar eine Fortsetzung der Gespräche an. «Die Tür ist nicht zu.» Der Chef der größten Oppositionsfraktion CDU/CSU will die Auseinandersetzung über die Migrationspolitik aber nun in den Bundestag verlagern. Er begründete das damit, dass die Regierung die notwendigen Maßnahmen mit ihrer eigenen Mehrheit beschließen könne, weil keine Grundgesetzänderung dafür nötig sei. Nur dafür bräuchte die Ampel im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit und damit die Zustimmung von Teilen der Opposition.
«Wir begeben uns mit Ihnen (...) nicht in eine Endlosschleife von Gesprächen», sagte Merz und ergänzte: «Sie treffen die Entscheidungen in der Regierung und alles Weitere können wir hier im Deutschen Bundestag weiter diskutieren.»
Der CDU-Chef hatte die Migrationsgespräche zwischen Ampel-Regierung, Ländern und Union am Dienstag nach der zweiten Runde für gescheitert erklärt. Die Koalition sehe sich offensichtlich nicht zu umfassenden Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Staatsgrenzen in der Lage, sagte er zur Begründung. «Damit ist der Versuch gescheitert, einen gemeinsamen Weg zu gehen.»
Scholz: Ampel hat «das große Sprücheklopfen» beendet
Scholz kritisierte das scharf und griff Merz persönlich an. «Sie sind der Typ von Politiker, der glaubt, mit einem Interview in der "Bild am Sonntag" hätte er schon die Migrationsfrage gelöst», tobte er am Rednerpult. Kaum habe Merz die Redaktionsräume verlassen, habe er aber schon vergessen, was er vorgeschlagen habe. «Sie können es nicht, das ist die Wahrheit, mit der wir konfrontiert sind», sagt Scholz an die Adresse von Merz und der Union.
Seine Ampel-Koalition habe dagegen «das große Sprücheklopfen» unionsgeführter Regierungen beendet und die «größte Wende im Umgang mit irregulärer Migration» vollbracht. Unter anderem verwies Scholz auf die Beschleunigung von Abschiebungen, das Sicherheitspaket der Bundesregierung, das an diesem Donnerstag erstmals im Bundestag beraten wird, sowie auf das geplante gemeinsame europäische Asylsystem. «Nicht motzen, sondern handeln und anpacken. Das ist die Devise», sagte Scholz.
Scholz mit geballter Faust – Merz gibt den Staatsmann
Der sonst so leise Scholz sprach im Bundestag in einer Lautstärke, die man sonst von ihm vor allem von Wahlkampfreden kennt. Während seiner Attacken auf die Union ballte er mehrfach die Faust.
Der Oppositionsführer verzichtete dagegen beim Thema Migration auf scharfe Verbalattacken und gab sich dagegen eher staatsmännisch. Vorwürfe, die Union agiere ausländerfeindlich, wies Merz entschieden zurück. «Deutschland muss ein offenes und ausländerfreundliches Land bleiben», sagte er. Die Union stehe «klar und unmissverständlich gegen jede Form von Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit».
Dobrindt als Abteilung Attacke: «Koalition des Abstiegs»
Die scharfen Attacken übernahm CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der die Debatte eröffnete – ein taktisches Manöver. Normalerweise redet der Fraktionschef der größten Oppositionspartei zuerst. Das verschaffte Scholz in früheren Generaldebatten den Vorteil, auf Merz reagieren zu können. Diesmal war es umgekehrt.
Dobrindt nutze seine Auftaktrede zur Generalabrechnung mit der Ampel. Sie sei «keine Koalition des Fortschritts, sondern eine Koalition des Abstiegs in diesem Land», sagte er. «Die Menschen haben diese Ampel-Ausreden satt», kritisierte der CSU-Landesgruppenchef und ergänzte, die Menschen hätten «verstanden, wer bei Ihnen Führung bestellt, der wird nur Ausreden bekommen. Aber das gefährdet die Sicherheit und die gesellschaftlichen Frieden in unserem Land.»
Weidel nennt Scholz «Kanzler des Niedergangs»
Auch AfD-Fraktionschefin Alice Weidel attackierte Scholz scharf und nannte ihn «Kanzler des Niedergangs». Die Bürger würden mit Alibipolitik und Migrationsgipfeln beschwichtigt, kritisierte Weidel, die direkt nach Scholz redete. Sie forderte, «illegale Migranten gar nicht erst ins Land zu lassen, sondern die Grenzen (zu) schließen und jeden zurückweisen, der ohne Rechtsanspruch und ohne Papiere nach Deutschland eindringen will».
Lindner fordert Migrationsgipfel auf Spitzenebene
Wie es in der Migrationspolitik nun weitergeht, ist offen. FDP-Chef Christian Lindner fordert einen neuen Anlauf auf höchster Ebene. Scholz und Merz sollten mit Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und ihm selbst persönlich verhandeln, schrieb Lindner auf der Plattform X. «Die Absage der Union an den Asylgipfel darf nicht das letzte Wort sein.»
Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr rief die Union im Bundestag zur Kooperation auf. «Ich glaube, für eine Blockade in der Frage der Ordnung und Begrenzung der Migration haben die Menschen in Deutschland kein Verständnis mehr», sagte er. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katharina Dröge, warf der Union in der Migrationsdebatte «Politik ohne Sinn und Verstand» vor. «Sie hatten an einem vernünftigen Dialog einfach kein Interesse und das ist eine große verpasste Chance.»
Scholz und Merz auch bei Ukraine-Strategie uneins
Die Generaldebatte über den Kanzleretat ist der Höhepunkt der ersten Beratungen über den Etat 2025, der am Dienstag in den Bundestag eingebracht wurde. Migration war das bestimmende Thema in der Debatte, die traditionell zur Aussprache über die Regierungspolitik insgesamt genutzt wird. Es ging aber auch um Außenpolitik.
Scholz wiederholte seinen Aufruf, eine weitere Friedenskonferenz für ein Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine abzuhalten – mit Moskau am Tisch. «Jetzt ist der Moment, jetzt ist die Zeit, wo wir ausloten müssen, welche Möglichkeiten sich ergeben», sagte der SPD-Politiker.
Merz wies auch diesen Vorstoß zurück. Man werde den russischen Präsidenten Wladimir Putin mit einer solchen «Friedens- und Diplomatierhetorik» nicht zum Aufgeben bringen, sagte er.
BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht unterstützte zwar diplomatische Bemühungen um eine Friedenslösung in der Ukraine Sie forderte Scholz aber unter anderem auf, auf die geplante Stationierung von US-Raketen in Deutschland zu verzichten.