Zur Bekämpfung illegaler Zuwanderung hat Deutschland seine bereits laufenden Grenzkontrollen im Osten und Süden des Landes auf den Westen und Norden ausgeweitet. Seit Mitternacht kontrollieren Beamte an den Übergängen zu Belgien, Luxemburg und den Niederlanden sowie zu Dänemark. «Diese Maßnahme ist aus meiner Sicht dringend erforderlich, um die irreguläre Migration weiter zurückzudrehen», sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Sonntagabend.
Die zusätzlichen Kontrollen sollen zunächst sechs Monate dauern. Sie sollen stichprobenartig sein und den Pendler- und Reiseverkehr sowie Wirtschaft und Handel möglichst wenig beeinträchtigen.
Die Kontrollen fänden flexibel statt, «je nach aktueller Lage und Sicherheitserfordernissen», erläuterte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums in Berlin. Die Lage werde fortlaufend bewertet. «Es gibt also keine flächendeckenden Kontrollen. Es steht nicht an jedem Grenzübergang ein Bundespolizist und hält den kompletten Verkehr an.» Auch gebe es keine geschlossenen Grenzen.
Schengen kennt eigentlich keine Grenzkontrollen
Grenzkontrollen sind im Schengen-Raum grundsätzlich nicht vorgesehen. Bisher kontrollierte die Bundespolizei nur an den Grenzen zu Polen, Tschechien, Österreich, der Schweiz und zuletzt wegen der Olympischen Spielen in Paris auch Frankreich. Aber auch andere Schengen-Staaten kontrollieren an ihren Landgrenzen. Sie begründen dies teils mit der Begrenzung irregulärer Migration, teils mit der Bedrohung durch islamistischen Terrorismus beziehungsweise mit Risiken im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Unerwarteter Erfolg an Grenze zu den Niederlanden
Nach Angaben der Bundespolizei wurden in Niedersachsen feste Kontrollstellen unter anderem auf der Autobahn 30 bei Bad Bentheim für Einreisen aus den Niederlanden errichtet. In Nordrhein-Westfalen kontrollierten Bundespolizisten zum Beispiel auf der Autobahn 44 bei Aachen Einreisende aus Belgien. Und in Schleswig-Holstein standen Beamte bereits in der Nacht für drei Stunden am Grenzübergang Ellund/Frøslev auf der A7.
An den neuen Kontrollpunkten verzeichnete die Polizei in Niedersachsen einen unerwarteten Erfolg: Ihr gingen drei Drogenschmuggler ins Netz, die sich nach Polizeiangaben der Kontrolle auf der Autobahn A30 bei Bad Bentheim zunächst entzogen und flüchteten. Etwa 30 Kilometer entfernt hätten Beamte sie aber stoppen können.
Was die Kontrollen bringen sollen
Stationäre Grenzkontrollen ermöglichen es, Menschen zurückzuweisen und an der Einreise zu hindern. Das ist weniger aufwendig, als dafür zu sorgen, dass jemand Deutschland wieder verlässt, der unerlaubt eingereist ist. Laut Bundesinnenministerium gab es seit Oktober 2023 mehr als 30.000 Zurückweisungen an den deutschen Grenzen. Zurückgewiesen werden derzeit Ausländer, die kein Asylgesuch vorbringen, und solche, die mit einer Einreisesperre belegt sind. Eine Forderung der Unionsfraktion nach umfassenderen Zurückweisungen hatte die Ampel-Koalition wegen europarechtlicher Bedenken abgelehnt.
Kanzler spricht mit Nachbarländern
Nachbarländer wie Österreich und Polen haben Bedenken gegen die Ausweitung der Grenzkontrollen angemeldet. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat aber nach eigenen Worten begonnen, über das Thema sehr sorgfältig mit den Chefs der Nachbarländer und auch mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu sprechen.
«Alle wissen, dass wir uns im Rahmen des europäischen Rechts bewegen, aber da unsere Möglichkeiten maximal ausnutzen», sagte Scholz am Sonntagabend bei seiner Usbekistan-Reise. «Alle verstehen, dass die Zahl derjenigen, die nach Deutschland kommen, zu groß ist und dass es deshalb ein nachvollziehbares Interesse der deutschen Regierung ist, dafür zu sorgen, dass wir diese Dinge durch ein gutes Management irregulärer Migration in den Griff kriegen.» Dazu gehörten auch solche Kontrollen.
Kritik von Grünen und Linken
Bei den Grünen werden die Maßnahmen kritisch gesehen. «Es ist fraglich, wie effektiv der Grenzschutz sein kann, auch angesichts der personellen Ausstattung der Bundespolizei», sagte Nordrhein-Westfalens Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur dem «Tagesspiegel».
Die Linken-Vorsitzende Janine Wissler sagte «gigantische Staus im Grenzverkehr» voraus. Zudem sei eine Kettenreaktion anderer EU-Länder zu erwarten. «Bald könnten überall die Schlagbäume wieder runtergehen», warnte Wissler. Zehntausende Geflüchtete könnten in Ländern wie Italien oder Griechenland an den EU-Außengrenzen stranden.
Union verlangt weitergehende Maßnahmen
Der Union hält die Kontrollen für unzureichend. Sie verlangt umfassende Zurückweisungen an den Grenzen. «Kontrollen alleine reichen nicht aus. Die Verweigerung der Ampel für umfassende Zurückweisung ist eine Kapitulation», sagte der Chef der CSU-Abgeordneten im Bundestag, Alexander Dobrindt, der «Bild»-Zeitung.
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz bekräftigte seine prinzipielle Offenheit für ein Spitzengespräch mit Kanzler Scholz. Er habe seine Bereitschaft dazu erklärt, sagte er in der ZDF-Sendung «Berlin direkt». Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte nach dem Scheitern der Migrationsgespräche zwischen Regierung und Union einen neuen Anlauf auf höchster Ebene angeregt.