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Warum die Ampel am Abgrund steht

Die Freude an der Zusammenarbeit ist in der Koalition schon lange verflogen. Den Absprung hat aber kein Partner gewagt - bisher. Angesichts mieser Umfragen könnte es ein Sturz in die Tiefe werden.
Bundestag
Es kriselt: Die drei Spitzen der Ampel-Koalition. (Archivbild) © Michael Kappeler/dpa

Die Ampel-Koalition wackelt. Im von der FDP ausgerufenen «Herbst der Entscheidungen» ist die «Woche der Entscheidungen» angebrochen - so sagt es jedenfalls SPD-Chef Lars Klingbeil. Zentral könnte ein Treffen der Koalitionsspitzen am Mittwochabend sein. Vorher wollen Kanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu dritt beraten. Worum geht es im Hickhack um die Wirtschafts- und Finanzpolitik? Und kann es mit dem zerrütteten Bündnis überhaupt weitergehen?

Wer gegen wen?

Traditionell streitet in der Ampel-Koalition jeder mit jedem. Das zeigt sich auch daran, dass Scholz, Habeck und Lindner jeweils eigene Vorstöße zur Wirtschaftspolitik gemacht haben. Aktuell stehen allerdings vor allem SPD und Grüne der FDP gegenüber: Beide haben den kleinsten Koalitionspartner im Verdacht, auf ein Ampel-Aus hinzuarbeiten. Aktueller Zankapfel ist ein Grundsatzpapier Lindners, in dem er ohne vorherige Absprache einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik fordert.

Wird überhaupt noch ernsthaft Politik gemacht?

Teils, teils. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat arbeiten weiter an Gesetzen. An diesem Mittwoch sollen mehrere Gesetzentwürfe im Kabinett beraten werden. Auch auf das «Sicherheitspaket» mit Verschärfungen in der Asylpolitik und bei der inneren Sicherheit konnte sich die Ampel noch einigen. 

Mühsam ist die Zusammenarbeit aber schon lange. Zum Streit kommt es immer wieder, wenn es um politische Grundüberzeugungen der Ampel-Partner geht, wie zum Beispiel bei der Atomkraft vor zwei Jahren oder wenn es darum geht, wofür der Staat Geld ausgeben sollte. Das Geben und Nehmen, das in einer Koalition nötig ist, fällt SPD, Grünen und FDP immer schwerer - erst recht seit dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts vor rund einem Jahr, das die Regierung in arge Geldnot brachte. Zuletzt drehte sich der öffentliche Streit vor allem um drei Fragen, von denen Lindner schon im September sagte, sie müssten nun geklärt werden: die irreguläre Migration sowie Leitplanken für die Wirtschaftspolitik und die Aufstellung des Bundeshaushalts.

Was könnte am Mittwoch passieren?

Am Mittwoch trifft sich der Koalitionsausschuss mit wichtigen Mitgliedern der Bundesregierung sowie aus den Ampel-Parteien und -Fraktionen. Wenn sich dieser Kreis nicht einig wird, hat die Koalition kaum eine Chance auf Fortbestand bis zum regulären Wahltermin Ende September 2025. Zu klären sei die Frage «Haben alle noch genug Puste?», sagt Klingbeil. Bleibt der große Knall erstmal aus, könnte das Gerangel andauern bis zur Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses am 14. November, in der die Abgeordneten den Etat für das kommende Jahr festzurren sollen. 

Warum ist der Kurs in der Wirtschaftspolitik so strittig?

In der Wirtschaftspolitik prallen angesichts der Konjunkturflaute die unterschiedlichen ideologischen Auffassungen der Ampel-Partner voll aufeinander. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat einen milliardenschweren, schuldenfinanzierten Staatsfonds vorgeschlagen, um Investitionen von Firmen zu fördern. 

Das lehnt die FDP ab, die auf die Einhaltung der Schuldenbremse pocht. Die FDP wolle keine «staatliche Feinsteuerung», sondern Entlastungen für die gesamte Breite der Wirtschaft, auch durch einen sofortigen Stopp aller neuen Regulierungen. Lindner spricht sich auch dafür aus, nationale durch europäische Klimaziele zu ersetzen. In der Folge könnten aus seiner Sicht auch Fördermaßnahmen etwa für den Heizungsaustausch verringert oder zeitlich gestreckt werden. Lindner will eine Aufweichung der Klimaschutzziele, die mit den Grünen nicht zu machen sein dürfte.

Die SPD will sich vor allem als Retterin von Industriearbeitsplätzen profilieren. Das könnte milliardenschwere Maßnahmen zur Senkung der Netzentgelte und damit der Stromkosten beinhalten sowie neue Fördermaßnahmen, um die Nachfrage nach Elektroautos anzukurbeln. Ein No-Go ist aus Sicht der SPD die Forderung Lindners nach Abschaffung des Solidaritätszuschlags, den seit längerem aber nur noch Top-Verdiener zahlen.

Auf die sogenannte Wachstumsinitiative zur Ankurbelung der Wirtschaft hatte sich die Koalition schon im Sommer geeinigt, auch wenn die Umsetzung noch aussteht - und fraglich würde, wenn die Ampel platzt. Bis zu einem halben Prozentpunkt Wachstum könne sie bringen, erklärte Habeck. «Wer sie nicht umsetzt, muss sich dann fragen lassen, wie er oder sie es verantwortet, diesen Wachstumsimpuls nicht zu geben. Wir brauchen ihn dringend.» 

Welche Rolle spielt der Haushalt?

Entscheidend ist, ob sich die Koalition noch auf einen Bundeshaushalt fürs kommende Jahr einigen kann. Es müssen noch Milliardenlücken geschlossen werden. Am 14. November ist dazu die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses geplant, in der die Abgeordneten letzte Fragen klären. 

Im Papier Lindners heißt es mit Blick auf die gesenkte Konjunkturprognose und die trübere Steuerschätzung, die im Haushaltsentwurf vorgesehenen Schritte zur Konsolidierung seien nicht ausreichend. Eine weitere Kürzung staatlicher Ausgaben sei notwendig, genannt wird etwa das Bürgergeld.

Lindner spricht sich außerdem dafür aus, dass die Subvention für den Chipkonzern Intel nicht nur verschoben wird, sondern ganz entfällt. Die bisher dafür gebundenen Mittel von insgesamt 10 Milliarden Euro könnten in den Kernhaushalt fließen. Bisher sind die Mittel im Klima- und Transformationsfonds gebunden, einem Sondertopf. Der kriselnde Intel-Konzern hatte den Bau eines Werks in Magdeburg verschoben, den Deutschland fördern wollte. Hier zeigte Habeck nun Entgegenkommen: Die freigewordenen Intel-Milliarden, die eigentlich im Klima- und Transformationsfonds vorgesehen seien, könnten einen Beitrag leisten, um die Haushaltslücke zu reduzieren, sagte er.

Um Firmen zu entlasten, will die FDP erste Schritte für eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags sowie eine Körperschaftssteuersenkung. Klar ist: Das würde Milliarden kosten.

Welchen Einfluss hat die US-Wahl?

Der Ausgang der US-Präsidentenwahl beschäftigt Berlin stark - schließlich spielen die Vereinigten Staaten eine entscheidende Rolle in der Nato, bei der Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine und zum Beispiel im Nahost-Konflikt. Sollte der Republikaner Donald Trump gewählt werden, ist in vielen Punkten unklar, wie es hierzulande weitergeht, insbesondere mit Blick auf Handelsfragen sowie die Sicherheit Deutschlands und Europas. Denkbar ist, dass das endgültige Wahlergebnis erst nach Tagen oder Wochen feststeht. Die Ampel-Partner müssen sich öffentlich fragen lassen, ob sie die Regierung in einer solchen Lage platzen lassen können - schnell steht der Vorwurf von Verantwortungslosigkeit im Raum. 

Wie ginge es nach dem Ampel-Aus weiter?

Sollte es keine Einigung auf einen Haushalt geben, würden ab Januar nur noch solche Ausgaben getätigt, für die eine gesetzliche Verpflichtung besteht. Förderentscheide für Projekte lägen dagegen erst einmal auf Eis. Ein vorzeitiges Ende fände auch die Arbeit der beiden Untersuchungsausschüsse des Bundestages - zur Evakuierung aus Afghanistan und zum Atomausstieg. Es könnte auf eine vorzeitige Neuwahl des Bundestages im März hinauslaufen. Der reguläre Wahltermin wäre erst Ende September.

Wie wäre der Weg zu Neuwahlen?

Sollte die FDP die Ampel platzen lassen, wäre es vorstellbar, dass SPD und Grüne in einer Minderheitsregierung bis zum regulären Wahltermin am 28. September weitermachen. Allerdings gibt es damit auf Bundesebene keinerlei Erfahrung. Viel wahrscheinlicher wäre es, dass Kanzler Scholz ein Vorziehen der Wahl anstrebt. Hierzu könnte er wie zuletzt Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005 im Bundestag die Vertrauensfrage stellen - in der Absicht, diese nicht zu gewinnen. Auf Vorschlag des Kanzlers könnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dann nach Artikel 68 Grundgesetz innerhalb von 21 Tagen den Bundestag auflösen. Eine Neuwahl müsste laut Artikel 39 innerhalb von 60 Tagen stattfinden.

© dpa ⁄ Martina Herzog, Andreas Hoenig und Anne-Béatrice Clasmann, dpa
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