Das von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgelegte Modell für eine neue Art von Wehrdienst wird vom Koalitionspartner FDP strikt abgelehnt. Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann begrüßen in einem Schreiben an den Verteidigungsminister zwar die von ihm angestoßene Debatte zur Steigerung der Wehrfähigkeit. Eine allgemeine Wehr- oder Dienstpflicht halten sie aber aus finanziellen, volkswirtschaftlichen und rechtlichen Gründen für nicht realistisch. Stattdessen setzen die beiden FDP-Politiker auf eine Attraktivitätssteigerung des Soldatenberufes und eine stärkere Rolle der Reserve.
Über das Schreiben von Lindner und Buschmann an Pistorius hatte zuerst die «Welt» berichtet. Es liegt auch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor. Pistorius wies die FDP-Kritik am Rande des Nato-Gipfels deutlich zurück.
FDP sieht keine gesellschaftliche Akzeptanz
«Uns eint das Ziel, die Bundeswehr zu einer der modernsten und schlagkräftigsten Armeen zu machen», heißt es in dem Brief. «Dieses Ziel können und werden wir nur mit der entsprechenden gesellschaftlichen Akzeptanz erreichen. Dies schließt die Wiedereinführung einer allgemeinen Wehrpflicht bzw. Dienstpflicht nach unserer Auffassung aus.»
Hohe Kosten für neuen Wehrdienst befürchtet
Die beiden FDP-Minister weisen darauf hin, dass für eine neue allgemeine Wehr- oder Dienstpflicht Strukturen aufgebaut werden müssten, was ein «langwieriger und extrem kostenintensiver Prozess» wäre.
Auch könnte eine neue Wehr- oder Dienstpflicht zu erheblichen volkswirtschaftlichen Verlusten führen, wie das Ifo-Institut in einer Kurzexpertise für das Bundesfinanzministerium ermittelt habe. «Allein die jährliche Verpflichtung eines Viertels einer Alterskohorte im Rahmen einer Wehr- oder Dienstpflicht, also von ca. 195.000 Personen würde nach den Berechnungen des Ifo-Instituts zu einem Rückgang des Bruttonationaleinkommens um 17,1 Milliarden Euro führen.»
Auch rechtliche Bedenken
Lindner und Buschmann halten es zwar für eine «Maßnahme vorausschauender Klugheit», eine Bestandsaufnahme der Menschen in Deutschland vorzunehmen, die im Verteidigungsfall eingezogen werden könnten. «Eine darüber hinausgehende Verpflichtung von kleinen Teilen eines Jahrgangs, sich mustern zu lassen oder gar einen Wehrdienst abzuleisten, würde aber unvermeidliche Fragen der Wehrgerechtigkeit aufwerfen», schreiben sie. Zudem stelle dies für die Betroffenen einen tiefen Einschnitt in ihre Freiheit und persönliche Lebensplanung dar.
Um die Personalprobleme der Bundeswehr zu beheben, setzen die beiden FDP-Politiker stattdessen darauf, die Streitkräfte zu einem «noch attraktiveren Arbeitgeber zu machen». Außerdem solle die Rolle von Reservistinnen und Reservisten gestärkt werden. Diese müssten stärker in die Strukturen der Bundeswehr eingebunden werden, weil es sich bei ihnen um die Praktiker und Profis handele, die die Truppe dringend benötige.
Vorschlag von Pistorius
Der Brief setze sich mit Dingen auseinander, die nicht im Mittelpunkt des Vorschlags stünden, sagte Pistorius in Washington. «In der Schule hätte man wahrscheinlich gesagt: Aufsatzthema verfehlt, setzen, sechs», sagte er weiter. Von einem Finanzminister, der auch noch Major der Reserve sei, hätte er sich gewünscht, die Notwendigkeiten der Truppe klar zu sehen. Zudem sei kein Ifo-Gutachten nötig, um zu wissen, dass der Wehrdienst oder eine Wehrpflicht wirtschaftliche Folgen habe. Pistorius sagte: «Verteidigung, Sicherheit hat volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Implikationen. Das habe ich immer gesagt.»
Das neue Modell von Pistorius sieht einen Grundwehrdienst von sechs Monaten mit einer Option für einen zusätzlichen freiwilligen Wehrdienst von bis zu zusätzlichen 17 Monaten vor. Dazu wird eine verpflichtende Erfassung eingeführt, in der junge Männer ihre Bereitschaft und Fähigkeit zu einem Wehrdienst benennen müssen - junge Frauen können dies freiwillig tun. Aus dem Pool von 400.000 Kandidaten eines Jahrgangs sollen von 2025 an jährlich zunächst 5.000 zusätzliche Wehrpflichtige, später auch mehr gewonnen werden.