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Polio-Impfeinsätze im Gazastreifen sollen in Kürze beginnen

Ab Sonntag wollen Helfer rund 640 000 Kinder im Gazastreifen gegen das hochansteckende Virus impfen. Für die Polio-Impfkampagne soll es Kampfpausen in dem Kriegsgebiet geben.
Polio-Impfkampagne im Gazastreifen
Polio-Impfkampagne im Gazastreifen

Im Gazastreifen laufen die Vorbereitungen für eine Massenimpfung von Kindern gegen das Poliovirus auf Hochtouren. Alle Seiten haben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) «vorläufige Verpflichtungen zu sogenannten gebietsspezifischen humanitären Pausen» abgegeben. Gemeint sind damit begrenzte Feuerpausen. Nachdem es kürzlich den ersten Fall von Kinderlähmung seit 25 Jahren im Gazastreifen gab, soll mit der Impfkampagne ein massiver Ausbruch der hochansteckenden Krankheit vermieden werden. 

Das Programm soll am Sonntag starten. Vorgesehen seien Einsätze von sechs Uhr morgens bis frühen Nachmittag, sagte Rik Peeperkorn, WHO-Vertreter für die palästinensischen Gebiete. Insgesamt sollen 640 000 Kinder unter zehn Jahren geimpft werden. Sie benötigen zwei Impfdosen im Abstand von vier Wochen.

 «Wir rufen alle Parteien auf, die Kämpfe zu unterbrechen, um Kindern und Familien einen sicheren Zugang zu den Gesundheitseinrichtungen zu ermöglichen und unseren Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, die Kinder zu erreichen, die keinen Zugang zu den Gesundheitseinrichtungen haben», sagte Peeperkorn. Israel stimmte nach Angaben der Vereinten Nationen täglichen Feuerpausen für die Impfkampagne zu. Die israelische Regierung selbst äußerte sich dazu auf Anfrage allerdings bislang nicht.

Netanjahu: Kampfunterbrechungen sind «keine Waffenpause»

Das israelische Militär hat in der Vergangenheit mehrfach mehrstündige «taktische Pausen» seiner Aktivitäten in Gebieten des Gazastreifen verkündet, meist um dort mehr Hilfslieferungen zu ermöglichen. Die letzten, zeitlich und räumlich begrenzten Kampfpausen dieser Art gab es im Juni im Süden des Küstengebiets

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte laut Medienberichten, die nun geplanten Kampfunterbrechungen seien «keine Waffenpause». Eine solche hatte es im November vergangenen Jahres im Rahmen eines Deals zwischen der israelischen Regierung und der Hamas gegeben. Innerhalb dieser einwöchigen Feuerpause wurden auch rund 100 Geiseln im Gegenzug für 240 palästinensische Häftlinge freigelassen. 

Fast 2200 Helfer für Impfkampagne ausgebildet

Für die Impfaktion würden fast 400 Stationen eingerichtet, hieß es von der WHO. Zusätzlich seien fast 300 mobile Teams unterwegs, um die Kinder zu erreichen. Fast 2200 Helfer seien ausgebildet worden, um den Impfstoff zu verabreichen.

Geimpft werde nach Zonen, zunächst im zentralen Gazastreifen, dann im Süden, anschließend im Norden. Dafür seien jeweils drei Tage nötig. «Wegen der unsicheren Lage, der Schäden an Straßen und Infrastruktur sowie der Bevölkerungsbewegungen ist es unwahrscheinlich, dass drei Tage in jedem Gebiet ausreichen, um eine angemessene Abdeckung zu erreichen», warnte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus in Genf. Es gebe aber die Zustimmung, die Kampagne auf um einen Tag zu verlängern, sollten noch nicht genügend Kinder geimpft worden sein. Palästinensischen Angaben zufolge sollen die Menschen per Telefon und über die sozialen Medien über die Impfkampagne informiert werden.

Gazastreifen war seit 25 Jahren poliofrei

Die WHO strebt an, mehr als 90 Prozent der Kinder zu erreichen. Die Abdeckung sei nötig, um eine Ausbreitung des Virus zu verhindern. In der Vergangenheit sei die Impfbereitschaft der Menschen immer groß gewesen. Der Gazastreifen war seit 25 Jahren poliofrei. 

Vor kurzem wurde aber ein Fall entdeckt. Ein zehn Monate altes Baby aus Deir al-Balah zeigt laut der WHO Anzeichen von Lähmung im linken Bein, sei aber in stabilem Zustand. 

Seit Beginn des Kriegs nach dem Terrorangriff der Hamas auf das israelische Grenzgebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres konnten viele Babys im Gazastreifen nicht geimpft werden. Die schlimmen hygienischen Zustände in dem Küstenstreifen, wo häufig zahlreiche Binnenflüchtlinge auf engstem Raum ausharren müssen und sauberes Wasser knapp ist, können laut WHO zu einer raschen Ausbreitung der Krankheit beitragen. 

Erreger infiziert den Verdauungstrakt

Polio wird auch Kinderlähmung genannt, weil der Erreger einst so verbreitet war, dass der Kontakt damit meist schon im Kindesalter erfolgte. Vor allem Kleinkinder waren von den poliotypischen Lähmungen betroffen. 

Es handelt sich um ein sogenanntes Enterovirus, das in erster Linie den Verdauungstrakt infiziert. Verbreitet wird das hochansteckende Virus meist über kontaminierte Hände als sogenannte Schmierinfektion, in Ländern mit unzureichendem Hygienestandard auch über verunreinigtes Wasser.

Nur in etwa einem von 200 Fällen führt eine Infektion zu den für Polio typischen irreversiblen Lähmungen - und das zudem nur bei Ungeimpften. Eine Heilung gibt es bisher nicht.

Durch die 1988 initiierten weltweiten Impfkampagnen konnten bis heute rund 20 Millionen Menschen vor einer Lähmung und anderthalb Millionen vor dem Tod bewahrt werden, wie es bei der WHO heißt. Vor Einführung von Schutzimpfungen gab es allein in Deutschland tausende Erkrankte und hunderte Todesfälle jährlich. Inzwischen allerdings sind die Impfquoten vielerorts viel zu niedrig.

© dpa ⁄ Ansgar Haase, dpa
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