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Israels Armee findet in Gaza vor Impfbeginn mehrere Leichen

Angehörige befürchten, dass es sich um Leichen von Geiseln handeln könnte. Die Wut ist groß. Derweil stehen Helfer in den Startlöchern, um mit der Polio-Impfung für die Kinder Gazas zu beginnen.
Nahostkonflikt - Tel Aviv
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Nahostkonflikt - Chan Junis

Wenige Stunden vor Beginn der Polio-Impfkampagne im Gazastreifen sorgt die Nachricht vom Fund mehrerer Leichen im Kriegsgebiet für einen Aufschrei in Israel. Zunächst war unklar, ob es sich um die Leichen von israelischen Geiseln handelte, doch Teilnehmer von Protestkundgebungen verschärften ihre Kritik an Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu. «Netanjahu hat die Geiseln im Stich gelassen. Ab morgen wird das Land beben, die Öffentlichkeit ist aufgerufen, sich vorzubereiten», zitierten israelische Medien Vertreter der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln. 

Unterdessen sollte am frühen Morgen im Gazastreifen mit der Impfung Hunderttausender Kinder gegen das für Kinderlähmung verantwortliche Polio-Virus begonnen werden. Dazu soll es in dem abgeriegelten Küstengebiet zeitlich und örtlich begrenzte Kampfpausen geben. 

Scharfe Kritik an Netanjahu

Israels Armee rief die Öffentlichkeit mit Blick auf die gefundenen Leichen auf, keine Gerüchte zu verbreiten. «Zu diesem Zeitpunkt sind die Truppen noch in dem Gebiet im Einsatz und führen ein Verfahren zur Bergung und Identifizierung der Leichen durch, das mehrere Stunden dauern wird», teilte das Militär am Samstagabend in sozialen Medien mit. 

Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid warf Netanjahu daraufhin laut der «Times of Israel» vor, sich auf unbedeutende Themen zu konzentrieren, während «unsere Söhne und Töchter im Stich gelassen werden und in Gefangenschaft sterben». Tausende Menschen demonstrierten am Abend in Tel Aviv und anderen Orten in Israel für ein Abkommen zur Freilassung der Entführten aus der Gewalt der islamistischen Hamas.

WHO dringt auf sicheren Ablauf der Polio-Impfungen

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll die Polio-Impfkampagne nach drei oder möglicherweise auch mehr Tagen im Süden des abgeriegelten Küstenstreifens fortgesetzt werden, ehe es in den Norden Gazas gehen soll. Kliniken, Arztpraxen und mobile Teams sollen den Angaben nach innerhalb weniger Tage Hunderttausende Kinder gegen das Virus immunisieren. Ziel ist es, mehr als 90 Prozent der Kinder unter zehn Jahren zu erreichen. 

Bereits am Samstag waren bei einer Pressekonferenz der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen die ersten Impfdosen verabreicht worden. Die WHO rief dazu auf, einen sicheren Verlauf der ab heute geplanten massenweisen Impfung zu gewährleisten. Alle Konfliktparteien müssten dies ermöglichen, forderte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus auf der Plattform X. Die WHO hatte zuvor mitgeteilt, alle Seiten hätten «vorläufige Verpflichtungen zu sogenannten gebietsspezifischen humanitären Pausen» abgegeben - gemeint sind damit begrenzte Feuerpausen.

Netanjahus Büro: Feuerpausen sind keine allgemeine Waffenruhe 

Das Büro von Ministerpräsident Netanjahu betonte am Abend, dass Berichte über eine allgemeine Waffenruhe zur Durchführung der Impfungen falsch seien. «Israel wird nur einen humanitären Korridor zulassen, durch den das Impfpersonal passieren kann; außerdem werden ausgewiesene Sicherheitsbereiche eingerichtet, in denen die Impfstoffe während bestimmter Stunden verabreicht werden», hieß es in einer Mitteilung. 

Kürzlich hatte es im Gazastreifen den ersten Fall von Kinderlähmung seit 25 Jahren gegeben. Seit Beginn des Kriegs nach dem Terrorangriff der Hamas auf das israelische Grenzgebiet am 7. Oktober vergangenen Jahres konnten viele Babys und Kinder im Gazastreifen nicht geimpft werden. Die schlimmen hygienischen Zustände in dem schwer verwüsteten Küstenstreifen, wo Hunderttausende Binnenflüchtlinge teils auf engstem Raum ausharren müssen und sauberes Wasser knapp ist, könnten laut der WHO zu einer raschen Ausbreitung der Infektionskrankheit beitragen. 

Das Forum der Angehörigen der israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas forderte in einem Brief an die WHO, dass auch die entführten Kinder im Gazastreifen geimpft werden sollen.

Bemühungen um Gaza-Abkommen stecken fest

Fast 2.200 Helfer sind trainiert, um die Polio-Schutzimpfungen im Kriegsgebiet durchzuführen. In den vergangenen Wochen waren 1,26 Millionen Polio-Impfdosen dorthin gebracht worden, 400 000 weitere sollen in Kürze ankommen. Es sollen rund 640.000 Kinder unter 10 Jahren geimpft werden, mit jeweils zwei Dosen im Abstand von vier Wochen. 

Derweil stecken die Bemühungen um eine dauerhafte Waffenruhe für das gesamte Palästinensergebiet fest. Die Hoffnung auf einen Durchbruch der Vermittlungsgespräche der USA, Ägyptens und Katars in Kairo zwischen Israel und der Hamas blieb bisher unerfüllt. 

Hauptstreitpunkt ist die Frage, wie lange israelische Truppen im Gazastreifen insbesondere im Philadelphi-Korridor an der südlichen Grenze zu Ägypten stationiert bleiben dürfen. Israels Sicherheitskabinett beschloss kürzlich, an der Kontrolle über die Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten festzuhalten. Kritiker - unter ihnen Verteidigungsminister Joav Galant - fürchten, das Festhalten könne die Befreiung der Geiseln verhindern, da die Hamas der israelischen Kontrolle des Philadelphi-Korridors nicht zustimmen wird. 

«Netanjahu und seine Partner im Kabinett haben beschlossen, das Abkommen über die Waffenruhe für den Philadelphi-Korridor zu torpedieren, und verurteilen die Geiseln damit wissentlich zum Tod», hieß es in einer am Abend von den Angehörigen der Entführten verlesenen Erklärung. Die Mutter einer der Geiseln bezeichnete Netanjahus Festhalten an der Kontrolle des Korridors als ein «Verbrechen gegen das Volk, gegen den Staat Israel und gegen den Zionismus». «Netanjahu ist nicht Mister Sicherheit, sondern Mister Tod», sagte sie. 

Seit Beginn des Kriegs vor knapp elf Monaten ist die Zahl der getöteten Palästinenser in dem Küstenstreifen auf mehr als 40.600 gestiegen, wie die Behörden in Gaza melden. Die Zahl unterscheidet nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten und lässt sich kaum überprüfen.

© dpa
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