Sie wirkt wie die berühmte englische Rose – jenem Idealbild einer traditionellen Schönheit aus dem britischen Inselreich: blond und zart, voller Anmut und ein wenig keck. Als eine solche bestieg Kate Winslet, die 1975 in der Arbeiterstadt Reading bei London in eine arme Schauspielerfamilie geboren wurde, 1997 auch den Unglücksdampfer «Titanic». Und landete in James Camerons gleichnamigem Hollywood-Drama an der Seite von Leonardo di Caprio einen bis dahin unerreichten Welthit, der sie schlagartig zum Superstar machte. Dabei agierte die 21-jährige in der Rolle der Rose DeWitt Bukater durchaus nicht nur romantisch verliebt. Sondern bereits energisch und selbstbewusst.
Ein Weg, den die bis heute umjubelte Oscar-Gewinnerin von 2009 («Der Vorleser») seither konsequent ausgebaut hat. Sie steht damit auf der Höhe des Zeitgeistes. So feiert sie die französische Filmemacherin Claire Duguet («Afropop») in ihrer TV-Doku «Kate Winslet, entschieden authentisch» – zu sehen am Mittwoch (30. Oktober) um 22.10 Uhr im Rahmen eines Winslet-Themenabends auf Arte – vollständig widerspruchsfrei als Feministin. Als willensstarke Vorkämpferin für mehr Freiheit und Frauenrechte, im Privaten wie in ihren Rollen.
Wohl deshalb hält sich Duguet auch nicht mit den drei Ehemännern und Vätern ihrer drei Kinder der zweimal geschiedenen Künstlerin auf – darunter «American Beauty»-Regisseur Sam Mendes.
Derzeit ist Winslet im Biopic «Die Fotografin» als die Amerikanerin Lee Miller (1907-1977) auf der Leinwand zu erleben. Eine hochkomplexe Figur, die sich vom Supermodel der 1920er Jahre zur Weltkriegsreporterin wandelte und bei der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau dabei war. Insgesamt ist die extrem wandlungsfähige Winslet bislang in mehr als 40 Filmen und Miniserien aufgetreten, hat viele Preise und nicht zuletzt zahllose Nominierungen erhalten. Schon früh spielte sie die leidenschaftliche Marianne in der Jane-Austen-Verfilmung «Sense and Sensibiliy» (1995) und Shakespeares Ophelia in Kenneth Branaghs «Hamlet» (1996) – Rollen, für die man sie bereits «Korsett-Kate» nannte.
Seitdem war sie unter anderem die junge Schriftstellerin Iris Murdoch in «Iris» (2001), die mehr als streitbare Mutter und Anlageberaterin Nancy in Roman Polanskis schwarzer Komödie «Der Gott des Gemetzels» (2011), die viktorianische Fossiliensammlerin Mary Anning im lesbischen Romantikdrama «Ammonite» (2020), die Hauptdarstellerin in der von ihr produzierten Miniserie «Mare Of Easttown» (2021) sowie die Ronal im Kino-Supererfolg «Avatar: The Way Of Water» (2022). Bei alledem bildet jedoch «Der Vorleser» einen Höhepunkt in Winslets Karriere. Mit diesem Film nach dem Roman-Bestseller von Bernhard Schlink beginnt dann auch um 20.15 Uhr der erste Teil des Arte-Themenabends.
Als alternde ehemalige KZ-Wärterin und Analphabetin Hanna Schmitz, die eine Affäre mit einem von David Kross verkörperten 15-Jährigen eingeht, zeigt die Britin unter der Regie von Stephen Daldry besondere Kraft und subtiles Differenzierungsvermögen. Sowie Mut zu einem nicht immer schmeichelhaften Äußeren. Auch sonst hat Winslet gern auf viel Make-up verzichtet – und sich außerhalb der Leinwand vehement gegen Body-Shaming und den Gebrauch etwa von Botox bei Runzeln und Falten einsetzt. Immer wieder lobt Duguets Film, dass der Star zu seinem bei häufig schwankendem Gewicht kurvenreichen Körper stehe. Ein Aspekt, der allerdings nicht ohne Weiteres nachvollziehbar ist. Denn Nacktszenen aus ihren Filmen zeigen Winslet eher mit einer Traumfigur im traditionellen femininen Sinne.