Die Suche nach dem Seelenverwandten
Die Idee ist wirklich nicht neu, aber sie fasziniert immer wieder neue Generationen von Menschen, die auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit sind: Irgendwo da draußen gibt es für jeden den perfekten Partner, die perfekte Partnerin, den Seelenverwandten oder die Zwillingsflamme – die „twin flame”.
Dieses Konzept mag auf einer romantisch verklärten Täuschung beruhen, aber die Suche nach dieser einen Person, die wie keine andere zu uns passt, ist zunächst einmal legitim. Problematisch wird es, wenn Gurus und Geschäftemacher aus dieser manchmal verzweifelten Suche Kapital schlagen.
Genau darum geht es bei dem sogenannten Twin Flame Universe; einer Online-Gemeinschaft, die seit einigen Jahren in den USA für Schlagzeilen sorgt. Diese von Jeff und Shaleia Ayan betriebene Community verspricht, jedes Mitglied mit seinem oder ihrem Seelenverwandten zusammenzubringen.
Die Ayans nutzen für ihre Aktivitäten übrigens nicht ihren Familiennamen, sondern nennen sich lieber Jeff und Shaleia Divine, also „göttlich”. 2020 veröffentlichte die Journalistin Alice Hines in dem US-Magazin Vanity Fair nach langen Recherchen eine Geschichte über die beiden und ihre Community.
Hines kommt zu dem Schluss, dass es sich beim Twin Flames Universum um eine Art Sekte handelt. Zum Programm gehören laut der Journalistin unmoralische Praktiken, Manipulation und ein höchst fragwürdiges Geschäftsmodell.
Das Twin Flames Universe
Die Story der Zwillingsflammen beginnt mit Liebe: Jeff und Shaleia lernen sich 2012 online kennen. Bald darauf ziehen sie zusammen und beginnen, Videos über ihre Beziehung zu drehen. Sie starten zudem einen Blog mit Beziehungstipps.
Schließlich führen ihre Liebesbotschaften zu einem neuen, größeren Projekt: Sie gründen das Twin Flames Universe und wollen Menschen helfen, ihre wahre Liebe zu finden. Shaleia übernimmt dabei den spirituellen Part, Jeff kümmert sich eher um das Geschäftliche.
Ihre Videos erreichen 2017 auf YouTube mehr als 150.000 Aufrufe, die Zahl der Facebook-Fans erreicht schnell mehr als 10.000. Doch bei Tipps und bunten Bildern bleibt es nicht: Die Ayans ziehen ein Unternehmen auf.
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Sie bieten kostenpflichtige Onlinekurse und individuelle Coachings an. Jeff und Shaleia verkaufen gewissermaßen ihr privates Liebesglück allen, die noch auf der Suche nach der großen Liebe sind.
Das Motto dabei lautet: Was wir gefunden haben, könnt Ihr auch finden – und wir helfen Euch dabei. Aber Liebe hat auch ihren Preis. Wer das komplette Liebesanbahnungsprogramm der Ayans bucht, zahlt weit über 4.000 US-Dollar.
Die Ayans weiten ihr Universum außerdem mit einer Art Schneeballsystem aus. Sie heuern einzelne Mitglieder ihrer Community als Coaches an, die wiederum Kurse an weitere Mitglieder verkaufen. Und die Coaches rekrutieren weitere Liebeslehrkräfte.
Die Trainer:innen dürfen zwar ihre Einnahmen behalten. Sie müssen aber, bevor sie ihre Karriere im Twin Flames Universe starten, zunächst das komplette Lehrmaterial der Ayans kaufen und durchlaufen.
Die wahre Geschichte hinter Escaping Twin Flames
Das Geschäft lohnt sich, zumindest für Jeff und Shaleia. Das Paar residiert schon bald in einer Luxusvilla mit Pool in Michigan. Alles Schwindel oder empathische Lebenshilfe? Kluge, aber möglicherweise nutzlose Ratschläge gegen Geld zu verkaufen, wäre jedenfalls noch nicht unbedingt verwerflich.
Die wahre Geschichte hinter Escaping Twin Flames sieht aber anders aus, wie Alice Hines beschreibt. Eine zentrale Rolle spielt dabei die sogenannte Spiegelübung. Die Idee dahinter ist, als Suchende:r nach der großen Liebe selbst die Verantwortung für das bisherige Scheitern zu übernehmen.
Nicht die ablehnende Haltung des Seelenverwandten sei etwa schuld daran, wenn sich die ersehnte perfekte Zweisamkeit nicht einstelle, sondern mangelndes Engagement des Suchenden. Das Konzept der Seelenverwandtschaft ist – so verkaufen es die Ayans – aber gottgegeben.
Und wer oder was kann schon etwas gegen Gottes Wille ausrichten? Um die göttliche Weisung Wirklichkeit werden zu lassen, müssen zur Not auch rabiate Methoden her. Die Ayans ermuntern ihre Mitglieder jedenfalls, Grenzen bei der Partnersuche zu überschreiten – gesetzliche sowie moralische.
Hines berichtet von dem Fall einer Frau, die ihrer „Zwillingsflamme” derart massiv nachstellte, dass der Mann eine einstweilige Verfügung gegen sie erwirkte. In anderen Fällen drängten die Ayans Mitglieder ihrer Community sogar dazu, ihre sexuelle Orientierung zu ändern.
Sie legten etwa heterosexuellen Frauen nahe, die einfach nicht den Mann ihrer Träume finden beziehungsweise für sich gewinnen konnten, ihr Glück doch lieber mit einer Frau zu versuchen.
Andere Mitglieder reagierten auf eine frustrierende Suche nach dem oder der Richtigen noch drastischer. Sie änderten ihren Namen und ihre Garderobe und outeten sich vor Familie und Kollge:innen als Transgender – überzeugt davon, dass Gott zusammenfügt, was zusammengehört.
Die Community wächst
Mittlerweile gibt es etliche Aussteiger:innen aus dem Universum der Ayans. Sie haben ihr Glück nicht gefunden und das auch noch teuer bezahlt. Aber es gibt auch eine wachsende Zahl von Anhänger:innen. Die langen Covid-Lockdowns haben offenbar als Verstärker gewirkt.
Mehr denn je waren in den vergangenen Jahren Menschen online unterwegs, und Partnersuche war zeitweise im analogen Leben ziemlich schwierig bis unmöglich. Und so wächst die Community bis heute. Bei Facebook folgen den Liebesgurus jetzt rund 40.000 Menschen.
Eine wahre Geschichte, zwei Dokus: Das Twin Flame Universum
Demselben Thema widmet sich übrigens auch eine dreiteilige Dokuserie bei Amazon Prime Video, die am 6. Oktober 2023 bei dem Streamingdienst erschien. An „Seelenverwandter verzweifelt gesucht – die Tücken des Twin Flames Universums” wirkte Alice Hines sogar persönlich mit.
Die Netflix-Doku Escaping Twin Flames umfasst ebenfalls drei Teile. Die Filmemacher:innen Cecilia Peck und Inbal B. Lesner („Seduced: Inside the NXIVM Cult”, Amazon Prime Video) recherchierten drei Jahre lang für ihre Doku und interviewten dafür ehemalige Mitglieder der Community und Angehörige von Geschädigten.
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