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«Der Diplomat»: Nibelungen-Festspiele über Krieg und Frieden

Seit 2002 wird in Worms das Spektakel um Siegfried und seinen Mörder Hagen auf Augenhöhe mit drängenden Themen der Gegenwart erzählt. Dieses Jahr steht ein kriegsmüder Held im Zentrum.
2023 zeigten die Nibelungen-Festspiele das bildstarke «Brynhild»
Nibelungen-Festspiele
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Jasna Fritzi Bauer
Nibelungen-Festspiele

Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner will ihn. So könnte es in Abwandlung eines populären Zitats der Friedensbewegung groß über dem Stück «Der Diplomat» stehen, das am Freitag (12.7.) feierlich Premiere feiert - zur Eröffnung der diesjährigen Nibelungen-Festspiele in Worms. Inmitten realer geopolitischer Krisen etwa in der Ukraine und im Nahen Osten geht es um die Frage, wie sich ein blutiger Krieg verhindern lässt, den keiner möchte - der aber trotzdem unabwendbar scheint.

«Das Stück ist aktueller denn je», sagt Intendant Nico Hofmann der Deutschen Presse-Agentur. Dabei ist die erste Fassung des Autorenduos Feridun Zaimoğlu und Günter Senkel schon vor einigen Jahren entstanden. «Seitdem haben sich die Dinge politisch in einer Art und Weise zugespitzt, wie ich es niemals gedacht hätte.» 

Das Stück unter der Regie von Roger Vontobel sei eine «kluge Bestandsaufnahme» und wühle auf. «Von daher erwarte ich einen starken Diskurs - aber auch einen Abend, der sich von der Unterhaltungsseite her lohnt», so Hofmann.

«Es sind ja auch wahnsinnige Zeiten»

Das Ensemble ist erfahren. So verkörpert Jasna Fritzi Bauer, bekannt aus dem Bremen-«Tatort», Kriemhild. «Sie ist nicht mehr das junge Mädchen, das den Drachentöter vergöttert», sagt Bauer über ihre Rolle. «Siegfried ist tot. Alles ist ein wenig heruntergewirtschaftet. Es herrscht schon länger Krieg, und sie ist abgehärtet. Sie hat auch nicht mehr so Bock auf ihre Familie», erzählt die Schauspielerin.

Dass das Stück aktuell sei, finde sie gut. «Es sind ja auch wahnsinnige Zeiten, die uns umgeben», sagt Bauer. «Ausgerechnet jetzt ein Stück namens "Der Diplomat" ist natürlich absurd, aber irgendwie auch schön. Weil dieser Mensch versucht, Frieden zu schaffen und sagt "Dieses ganze Gekämpfe bringt doch nichts". Hoffentlich regt das Stück zum Denken und auch zu Diskussionen an.»

König ohne Krone

Im Mittelpunkt von «Der Diplomat» steht der desillusionierte Held Dietrich von Bern als Vermittler zwischen verfeindeten Fronten. Er wird als Friedensbote zu den Burgundern geschickt, um für Hunnenkönig Etzel um Kriemhilds Hand anzuhalten. Gleichzeitig will er einen Krieg verhindern. Und so gerät Dietrich in die Zwickmühle seiner persönlichen Geschichte und der drohenden Eskalation.

In Worms spielt Franz Pätzold («Werk ohne Autor») die Sagenfigur des deutschen Hoch- und Spätmittelalters. «Ein Stück über den Krieg zu spielen in einer Zeit, in der der Krieg fast vor der Tür steht - da kann man natürlich verrückt werden», sagt Pätzold. «Da sind wir wieder beim Theater, das ein Gegenentwurf sein und das Spannungsverhältnis zwischen der Realität und einer Möglichkeit aufzeigen kann.»

Dietrich von Bern sei ein König ohne Krone. «Er verzichtet auf Macht, damit die Gewalt aufhört. Und da wird es interessant: Tut er das aus höheren Absichten oder hat er persönliche Motive?»

Es könne sein, dass das Publikum am Ende feststellt, dass der vermeintliche Held gar nicht so glänzend dastehe. «Aber von Erwartungen will ich mich gar nicht erst abhängig machen», betont Pätzold. «Sonst kann ich ja gleich Umfragen machen, wie die Figur sein sollte.»

«Düster wie der Winnetou-Killer»

Auch Hagen-Darsteller Thomas Loibl («Toni Erdmann») will es dem Publikum nicht leicht machen, den Siegfried-Mörder schlecht zu finden. «Bei Hagen gibt es viele Momente, in denen man sagen kann: "Moment, vielleicht ist das der bessere Weg"», sagt er. «Ich versuche das zu nutzen.» Der Zuschauer könne dann mit seinem Sitznachbarn streiten: Der Hagen hat recht, oder? - Nein, der Dietrich war schon der tolle Typ. «Das ist mein Ziel. Dieser Diskurs: Das finde ich wertvoll am Theater», betont Loibl. 

Er sieht in seinem Hagen gar einen Bösewicht wie Rollins, der in der Karl-May-Verfilmung den Winnetou tötete. «Mein Hagen wird so düster wie der Winnetou-Killer», sagt der Schauspieler. «Ohne dunkles Gegenüber gibt es keine strahlenden Helden. Ich analysiere und spiele solche Figuren sehr gerne. Fast am liebsten.»

100 Liter Kunstblut

Das Nibelungenlied, eine der Lieblingssagen der Deutschen, strotzt vor Gewalt und versinkt im Hass. Muss das intrigenreiche Heldenepos so enden? Diese Schicksalsfrage stellen sich die Festspiele auch in diesem Jahr. Seit 2002 erzählen die Veranstalter in einer der ältesten Städte Deutschlands das Spektakel um Siegfried und seinen Mörder Hagen immer wieder anders und stets auf Augenhöhe mit drängenden Themen der Gegenwart.

Im vergangenen Jahr hatte Worms mit 21.000 Besuchern eine Auslastung von 90 Prozent. Etwa 1.400 Zuschauerinnen und Zuschauer passen jeden Abend auf die Tribüne vor dem Kaiserdom, die Tickets kosten zwischen 29 und 139 Euro. Der Ort der Festspiele ist historischer Boden: Eine Schlüsselszene der Sage, der Streit der Königinnen, spielt auf der Nordseite des Doms. Die Festspiele auf einer Freilichtbühne laufen bis zum 28. Juli.

Apropos laufen: Fast unablässig quillt in «Der Diplomat» Blut aus der Leiche von Siegfried, die während des Stücks vor dem Dom liegt. Insgesamt sollen pro Aufführung rund 100 Liter Kunstblut mit einem Pumpensystem über einen mit Erde bedeckten Teil der Bühne verteilt werden.

© dpa ⁄ Wolfgang Jung, dpa
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