Angelo Stiller als neuer Stuttgarter Bube statt Grand mit Vieren: Julian Nagelsmann hat auf die Rücktritte von Kapitän İlkay Gündoğan sowie der Rio-Helden Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller nur mit marginalen Änderungen reagiert. Das Großprojekt WM-Pokal 2026 startet der Bundestrainer in der Nations League mit einem zwar deutlich jüngeren Kader, aber praktisch ausschließlich mit seinem Personal der Heim-EM.
«Generell waren wir sehr zufrieden, wie jeder einzelne Spieler bei der EM seine Rolle ausgefüllt hat. Deshalb möchten wir jetzt in den ersten Spielen nach dem Turnier dem EM-Kader die Chance geben, sich wieder zu präsentieren», begründete Nagelsmann seine Personalauswahl für die ersten Länderspiele der Fußball-Nationalmannschaft am 7. September in Düsseldorf gegen Ungarn und drei Tage später in Amsterdam gegen die Niederlande.
Stiller ist der einzige Neuling im Kader. Der 23 Jahre alte Stuttgarter wurde erstmals vom Bundestrainer berufen und damit für seine konstant guten Auftritte belohnt. Der Mittelfeldakteur habe «schon in der vergangenen Saison und auch jetzt wieder sehr gute Leistungen gezeigt», erklärte Nagelsmann in der schriftlichen Mitteilung zu seiner Nominierung am Donnerstag. «Jeder Spieler wünscht sich, einmal bei der Nationalmannschaft dabei zu sein. Ich habe schon für verschiedene U-Nationalmannschaften des DFB gespielt - die Einladung zur A-Nationalmannschaft ist aber natürlich etwas ganz Besonderes», sagte Stiller.
Nicht mit dabei ist bei den September-Partien überraschend Antonio Rüdiger. Der 31 Jahre alte Innenverteidiger von Real Madrid werde «nach einem intensiven Sommer» in Absprache mit dem Bundestrainer die Zeit zur Regeneration nutzen, teilte der DFB mit. Im Oktober sollte der Abwehr-Hüne sicher wieder im Aufgebot stehen.
Kader jünger und auf Wunschgröße
Nagelsmann reduzierte sein Aufgebot von 26 Turnierakteuren auf seine eigentliche Wunschgröße von 23 Spielern. Eine Konsequenz dieser Verschlankung: Auch ohne viele neue Namen sinkt der Altersschnitt wegen der Rücktritte der Routiniers von knapp unter 30 Jahren auf 26,8 Jahre im Vergleich zum EM-Kader.
Diese Verjüngungskur hatte Nagelsmann schon beim Turnier mit Blick auf die WM in Nordamerika in knapp zwei Jahren als notwendig bezeichnet. Die Kehrseite: Allein durch die vier Rücktritte fällt die Erfahrung von 451 Länderspielen weg, mehr als der gesamte aktuelle Kader zu bieten hat (440).
Statt des früheren Teamoldies Neuer (38) ist Alexander Nübel (27) als Torwart dabei. Kurz vor der EM war der Stuttgarter von Nagelsmann aus dem Kader gestrichen worden. Hinter der neuen Nummer eins Marc-André ter Stegen (32) setzt Nagelmann in Nübel und dem Hoffenheimer Oliver Baumann (34) auf zwei schon erfahrene Torhüter, die aber beide noch kein Länderspiel bestritten haben.
Wie erwartet wieder dabei ist Aleksandar Pavlovic (20). Der junge Münchner hatte nach seinem Länderspiel-Debüt im EM-Test gegen die Ukraine (0:0) wegen einer Mandelentzündung auf die Turnier-Teilnahme verzichten müssen.
Gemeinsam mit Stiller ist er die Zukunftshoffnung für die zentrale Position. «Im Mittelfeld müssen wir mit İlkay Gündoğan und Toni Kroos ja gleich zwei Spieler ersetzen, die zurückgetreten sind. Das sind für den Moment insgesamt genügend Veränderungen in der Nationalmannschaft», sagte Nagelsmann.
Stiller hätte im starken Stuttgarter Block um Chris Führich, Deniz Undav, Maximilian Mittelstädt und dem Neu-Dortmunder Waldemar Anton auch schon zur EM fahren können, hatte Nagelmann im Frühjahr angedeutet. Nun ist seine Zeit im DFB-Tross aber angebrochen.
Der Musterschüler von Club-Coach Sebastian Hoeneß war maßgeblich am Schwaben-Aufschwung in der Vorsaison beteiligt. Er ist der VfB-Stratege, sehr ballsicher und hat ein gutes Auge. Das gefällt auch Nagelsmann. «Ich freue mich riesig. Ich finde, er hat es total verdient», sagte Hoeneß über Stiller.
Dieser sei «in der Lage, nah an der Kette das Spiel mitzugestalten und mitzuführen», sagte Hoeneß. Noch sind auf der Sechser-Position aber Pascal Groß und Robert Andrich die Kandidaten für die Rolle als Stammkräfte. Auch EM-Notnagel Emre Can wurde wieder berufen.
Neben Rüdiger fehlt aus dem EM-Tross noch Leroy Sané, der nach seiner Leistenoperation in München am Comeback arbeitet. Sein Club-Kollege Serge Gnabry wurde trotz guter Saison-Frühform nicht ins DFB-Team zurückgeholt. Somit ist der traditionell starke Bayern-Block auf drei Spieler geschrumpft. Borussia Dortmund und der VfB Stuttgart stellen mit je fünf Akteuren die größten Fraktionen.
Kimmich-Verkündung steht aus
Offen ist noch, wer Nachfolger von Kapitän Gündoğan wird. Klarer Favorit ist Joshua Kimmich. Nagelsmann wird die Entscheidung für den Münchner vermutlich am Montag verkünden, wenn er den Kader knapp neun Wochen nach dem EM-Aus im Viertelfinale gegen Spanien (1:2 n.V.) wieder im Teamquartier in Herzogenaurach versammelt.
Einen Fingerzeig in Sachen Kimmich gab Nagelsmann aber schon. Der 29-Jährige und mit 91 Länderspielen mit Abstand erfahrenste Akteur wird in der DFB-Liste in der Abwehr geführt. Eine Rückkehr ins defensive Mittelfeld wie gerade beim FC Bayern scheint also nicht geplant.
Die DFB-Elf bestreitet in diesem Jahr noch sechs Länderspiele - alle in der Nations League. Gruppengegner sind bis November je zweimal Ungarn, die Niederlande und Bosnien-Herzegowina.
Redaktionshinweis: In einer früheren Version dieses Artikels wurde im 5. Absatz ein falscher Altersdurchschnitt angegeben