Völlig übermüdet, aber mit leuchtenden Augen traten Deutschlands Fußballerinnen ihre letzte Olympia-Reise in Frankreich an. Für das Team des scheidenden Bundestrainers Horst Hrubesch ging es von Lyon mit dem TGV zur Medaillenzeremonie nach Paris. «Irgendwie werden wir es aus dem Bett schaffen. Wir wissen ja, wofür wir aufstehen», hatte Abwehrchefin Marina Hegering nach dem viel umjubelten Bronze-Coup gegen die Weltmeisterinnen aus Spanien prophezeit.
Nach einem letzten Kraftakt in einem Turnier mit Spielen im Drei-Tage-Rhythmus strahlte auch die DFB-Riege um Präsident Bernd Neuendorf auf der Tribüne. Die verletzte Mittelfeldspielerin Lena Oberdorf posierte an Krücken mit allen Beteiligten für ein Teamfoto, das demnächst irgendwo in der Verbandszentrale in Frankfurt hängen wird. Später wurde bei der Feier im Hotel bei viel Mallorca-Musik wild getanzt.
WM-Debakel «relativ schnell aus den Köpfen»
Ein Jahr nach dem blamablen Vorrunden-Aus bei der WM in Australien sieht DFB-Boss Neuendorf die Krise der Frauen-Auswahl weitgehend überwunden und eine vielversprechende Basis für den neuen Chefcoach Christian Wück gelegt. Die Spiele hätten gezeigt, «dass wir uns nicht verstecken müssen vor irgendwem», sagte der 63-Jährige nach dem 1:0-Sieg im Spiel um Platz drei. «Das tut uns natürlich gut, dass wir die Weltmeisterschaft relativ schnell aus den Köpfen der Spielerinnen herausbekommen haben und jetzt auch Erfolge feiern können.»
Hrubesch hat in seiner zehnmonatigen Amtszeit eine neue Mentalität im Nationalteam geschaffen. «Wir haben gewusst, dass wir sie nicht krumm und schief spielen können», sagte er bei seiner letzten Pressekonferenz als Bundestrainer über die Gegnerinnen und verwies auch auf das Viertelfinale gegen Kanada, den Olympiasieger von Tokio: «Wir haben sie alle weggenommen.»
Chancenwucher erzürnte Hrubesch immer wieder
Dass die DFB-Frauen zweimal gegen die USA verloren und in den drei K.o.-Spielen kein Tor aus dem Spiel heraus erzielt haben - Giulia Gwinn traf gegen Spanien per Elfmeter -, ist die Kehrseite der Medaille. So spiegelt Bronze genau das wider: Noch ist längst nicht alles Gold, was glänzt.
«Die Mannschaft hat dieses Turnier mit unglaublich viel Leidenschaft, Willensstärke und Herzblut gespielt», sagte DFB-Sportdirektorin und Ex-Weltmeisterin Nia Künzer. «Wir wissen auch, dass es weitere Entwicklungsschritte braucht, um uns dauerhaft auf internationalem Topniveau zu etablieren.»
Der 51 Jahre alte Wück gibt sein Debüt als neuer Cheftrainer am 25. Oktober in Wembley gegen Europameister England. Er hatte die männliche U17-Auswahl des DFB zum Weltmeister gemacht. «Horst hat ein gutes Fundament gelegt. Er hat diesen unglaublichen Willen eingepflanzt in die Köpfe der Spielerinnen. Das ist das, womit Christian Wück gut arbeiten kann», lobte Neuendorf. «Ich bin sicher, dass er ein toller Trainer ist, der das Team jetzt noch weiterentwickelt.»
Das ist auch notwendig, wenn man von der Weltspitze nicht wieder abgehängt werden will. Das olympische Turnier hat auch die spielerischen Defizite klar aufgezeigt. Was Hrubesch am meisten aufregte: zu viele Torchancen wurden nicht genutzt. In der Offensive fehlt es an Automatismen und Präzision. Und es gibt zu wenige Talente, die nachrücken.
EM ohne Popp und Hegering?
Herausragende Akteurinnen waren neben der neuen Stammtorhüterin Ann-Katrin Berger (33), die gegen Kanada das Weiterkommen sicherte und gegen Spanien tief in der Nachspielzeit einen Strafstoß von Alexia Putellas parierte, Hegering (34) und Jule Brand. Dass die Wolfsburgerin mit 21 Jahren und nach drei Turnieren immer noch das Küken in der DFB-Auswahl ist, spricht nicht für den Nachwuchs.
Ob Hegering und Kapitänin Alexandra Popp weitermachen bis zur EM im nächsten Jahr in der Schweiz, ist offen. «Klar ist, dass ich das jetzt nicht beantworten kann und will. Ich muss das erst ein paar Tage Revue passieren lassen. Dann schauen wir mal, wohin die Reise geht», sagte die 33-Jährige der ARD und ergänzte später: «Da wird das neue Trainerteam auch noch ein Wörtchen mitreden.» Popps Vertrag beim VfL Wolfsburg läuft noch ein Jahr.
Deutschlands dreimalige Fußballerin des Jahres war in Frankreich die einzige verbliebene Spielerin, die schon beim Olympiasieg 2016 in Rio auf dem Rasen stand. Nach dem Abpfiff lag Popp lange weinend auf dem Rasen, ehe sich Hegering auf sie warf und Hrubesch sie schließlich lange in die Arme nahm. Vielleicht war es ein Bild mit Symbolcharakter.