Jetzt spricht «Mr. Volkswagen»: In seiner ersten Einlassung als Angeklagter vor Gericht hat Martin Winterkorn die Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen und sieht seine erfolgreiche Karriere durch die Dieselaffäre beschädigt. «Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, ich hätte in meiner Aufgabe als Vorstandsvorsitzender gebotene Handlungen unterlassen, Kunden und Aktionäre getäuscht und geschädigt und mich damit strafbar gemacht, trifft mich - am Ende meines beruflichen Weges - ganz erheblich», sagte er vor dem Landgericht Braunschweig.
In seinem Eingangsstatement verneinte der 77-Jährige sämtliche Vorwürfe der Anklage. Das sei nicht die Haltung, die er in fast 15 Jahren als Vorstandsvorsitzender an der Spitze von Audi und Volkswagen eingenommen habe. «Das entspricht auch nicht meinem Verständnis, wie man in dieser Funktion seine Pflichten erfüllt», sagte Winterkorn. Ihm werden in dem Strafprozess gewerbsmäßiger Betrug, Marktmanipulation und uneidliche Falschaussage vorgeworfen.
Es gilt die Unschuldsvermutung
Winterkorn soll VW-Käufer über die Beschaffenheit der Autos getäuscht haben. Zudem werfen ihm die Ankläger vor, in den entscheidenden Septembertagen 2015 den Kapitalmarkt vorsätzlich nicht rechtzeitig über Risiken durch Strafzahlungen informiert haben. 2017 soll er dann vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags uneidlich falsch dazu ausgesagt haben. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung.
Die Abgasmanipulationen waren im September 2015 durch Nachforschungen von US-Umweltbehörden und Wissenschaftlern aufgeflogen und hatten VW in die schwerste Krise der Firmengeschichte gestürzt. Winterkorn trat zurück und verschwand immer mehr aus der Öffentlichkeit. Die Auftritte wurden weniger, Äußerungen gab es praktisch nie.
Winterkorn wieder in der Offensive?
Neun Jahre nach dem Auffliegen des Skandals scheint Winterkorn im Jahr 2024 trotz sichtbarer gesundheitlicher Beeinträchtigung wieder in die Offensive zu gehen. Schon bei seinem ersten Gerichtsauftritt als Zeuge im Investorenprozess zur Dieselaffäre im Februar wies er eine persönliche strafrechtliche Verantwortung zurück. Passagen seines Statements vor dem Oberlandesgericht Braunschweig wiederholte er nun als Angeklagter: «Ich habe diese Funktion damals weder gefordert noch gefördert oder ihren Einsatz auch nur geduldet».
Ein seinem etwas mehr als einstündigen Vortrag referierte Winterkorn seinen Karriereweg bis an die Konzernspitze. Er beschrieb ausführlich seinen komplexen Aufgabenbereich als Vorstandsvorsitzender und die damit verbundene Taktung. «Spielräume oder gar freie Stunden gab es nur selten». Eine seiner Kernbotschaften lautete, dass er sich vor allem um strategische Entscheidung, die weit in die Zukunft reichten, kümmerte - nicht um die operativen Dinge.
Wie ein amtierender Konzernchef
Fast in der Manier eines amtierenden Konzernchefs betonte er die Entwicklung und Bilanz unter seiner Führung. Mitarbeiterzahl verdoppelt, jährlichen Verkauf von Autos von 6,2 auf 9,1 Millionen gesteigert. Konzerngewinn von 2,75 Milliarden Euro auf 13,8 Milliarden Euro hochgeschraubt. «Das ist das Fünffache», betonte Winterkorn. «Die Entwicklung und der Einsatz einer unerlaubten Softwarefunktion in den Motorsteuergeräten kleiner Dieselmotoren beschädigt diese ansonsten erfolgreiche Bilanz», sagte er.
Vor allem die amerikanischen Verfahren hätten ihn viel Zeit und Kraft gekostet. Versuche diese bis zu einer Entscheidung in Deutschland zurückzustellen, seien bisher gescheitert. Anfang 2020 habe er dann von dem Haftbefehl gegen ihn durch US-Behörden erfahren. «Das hat mich sehr getroffen, weil ich bisher keine Chance sehe, mich aus Deutschland heraus erfolgreich gegen die dort erhobenen Vorwürfe zu verteidigen», sagte Winterkorn. Dies sei nur vor einem Gericht in den USA möglich, er habe Deutschland aber seitdem nicht mehr verlassen.
«Wir werden das klären»
Mit seinem Rücktritt habe er Verantwortung übernommen. «Ich halte es aber für fernliegend, mir einen strafrechtlichen Vorwurf zu machen, wie es die Staatsanwaltschaft Braunschweig mit ihren Anklagen versucht», sagte Winterkorn. Die These der Ankläger, er hätte schon im Mai 2014 Kenntnis von der zur Betrugs-Software gehabt, wies er als falsch zurück. Er sei kein Motorenentwickler, kein Spezialist für Abgasreinigung und auch kein Software-Experte. Er habe damals nicht verstanden, worin die technischen Probleme lagen.
Mit Blick auf die vorgeworfene Marktmanipulation sagte Winterkorn: «Diese Entwicklung war nicht vorhersehbar und für mich auch nicht vorstellbar.» Er hätte es nicht hingenommen, den Kapitalmarkt nicht oder nicht rechtzeitig zu informieren. Und er hätte auch nicht geschwiegen, um den Kurs der Aktie zu beeinflussen. Zum Vorwurf der Falschaussage im Bundestag ergänzte er: «Wir werden das klären. Ich habe damals die Wahrheit gesagt und nicht wider besseren Wissen die Abgeordneten belogen.» Am kommenden Donnerstag (12.9.) geht der Prozess weiter.
Redaktionshinweis: In einer früheren Version, hieß es, unter Winterkorn habe sich der Konzerngewinn von 2,75 auf 123,8 Milliarden Euro erhöht. Es sind 13,8 Milliarden.