Die Corona-Zeit mit ihren Schutzmaßnahmen ist längst Geschichte, die Menschen genießen wieder alle Freiheiten wie vor der Pandemie, und die Bewegung der Maßnahmen-Kritiker hat erheblich an Bedeutung verloren. Trotzdem hat «Querdenken»-Initiator Michael Ballweg immer noch Anhänger. Vor dem Gerichtssaal lächelt der 49-Jährige seinen Fans am Mittwochmorgen zu, grüßt sie wie alte Freunde. Für sie ist er ein mutiger Kämpfer für die Grundrechte, für Kritiker dagegen ein gefährlicher Aktivist, der sich mit Reichsbürgern und Rechtsextremisten in ein Boot setzte - und für die Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Betrüger und Steuerhinterzieher.
Der Unternehmer muss sich wohl bis ins kommende Jahr wegen versuchten Betrugs und Steuerhinterziehung vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Denn Ballweg sammelte in der Corona-Zeit viel Geld bei Unterstützern ein, dafür warb er immer wieder im Internet, in sozialen Medien, auf der Bühne bei Demonstrationen. In 9450 Fällen hätten ihm zwischen Mai 2020 und Februar 2022 Menschen Geld gegeben, so die Staatsanwaltschaft. Es geht um eine Gesamtsumme von 1 269 902,58 Euro.
Spendengeld zur Vermögensvermehrung?
Dabei soll der Unternehmer Ballweg den Spendern vorgegaukelt haben, das Geld nur die «Querdenken»-Bewegung verwenden zu wollen. Die Staatsanwaltschaft wirft Ballweg vor, seine zahlungswilligen Anhänger getäuscht zu haben - und 575 929,84 Euro für eigene, private Zwecke verwendet zu haben.
Spätestens ab Mai 2020 habe Ballweg geplant, seine im Rahmen der Proteste gewonnene Popularität für private Zwecke zu nutzen und sich Geld «zur Bestreitung seines Lebensunterhalts und zur Vermehrung seines Vermögens» zu beschaffen, so die Staatsanwältin bei der Anklageverlesung. Immer wieder habe er Geld auf private Konten und Firmenkonten umgebucht, viele Transaktionen habe man nicht mehr nachvollziehen können. Der einst erhobene Vorwurf der Geldwäsche war aber fallengelassen worden.
Es geht um die Täuschungsabsicht
Ballweg ist nicht wegen Betrugs, sondern nur wegen versuchten Betrugs angeklagt, weil einigen Spendern wohl gleichgültig gewesen ist, was mit dem Geld passiert, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft. Deshalb sei aus juristischer Sicht niemand wirklich betrogen worden. Im Prozess steht daher der Betrugsversuch, also die Täuschungsabsicht Ballwegs, im Mittelpunkt.
Außerdem steht er wegen vollendeter und versuchter Steuerhinterziehung vor Gericht. Ballweg soll versucht haben, eine knappe halbe Million Euro an Steuern zu hinterziehen. Weitere knapp 80 000 Euro soll er wirklich hinterzogen haben.
Ballwegs Anwälte hatten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft immer wieder zurückgewiesen. Sein Anwalt spricht am Mittwoch von einer «sehr lückenhaften und in weiten Teilen unzusammenhängenden, unverständlichen Anklageschrift». Die Vorwürfe seien «nichts weiter als eine Erzählung».
Demonstrationen vor dem Gefängnis
Ob Ballweg am Ende ins Gefängnis muss, ist offen. Er saß wegen der Vorwürfe ab Juni 2022 bereits monatelang in Untersuchungshaft, weil die Behörden von einer Fluchtgefahr ausgingen. Immer wieder hatten seine Anhänger vor dem Gefängnis demonstriert. Im April 2023 war er aus der Haft entlassen worden.
Ballweg selbst sieht sich als politisch Verfolgter. Auf seinem T-Shirt steht «Freiheit wird aus Mut gemacht» - lächelnd lässt er sich zum Prozessauftakt von der Presse fotografieren, spricht von einem «guten Tag für Deutschland». «Das geht jetzt in die Aufarbeitung.» Er sei nicht der einzige Kritiker der Corona-Maßnahmen, der staatliche Repressionen habe erleben müssen, aber er gehe als «leuchtendes Beispiel» voran. Sein Vermögen sei nach wie vor beschlagnahmt, seine Firmen zerstört, er bekomme wegen der Vorwürfe kein Bankkonto mehr. «Querdenken» werde aber weitergehen und sich nicht von den Repressionen abhalten lassen, so sagt er.
Vor Gericht will sich Ballweg am Mittwoch weder zu seiner Person noch zu den Vorwürfen äußern. Bis Ende April 2025 sind mehr als 30 Verhandlungstage vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Stuttgart angesetzt. Ballweg hat drei Anwälte in dem Verfahren, einer davon sitzt für die CDU im baden-württembergischen Landtag, Reinhard Löffler. Löffler vertrat vor kurzem erst einen AfD-Politiker. «Ich wähle meine Mandanten nicht danach aus, ob sie der CDU gefallen», sagte er zum Prozessauftakt. Für ihn zähle nur das Recht. «Ich vertrete auch Judas Iskariot.»
Verfassungsfeindliche Ansichten
Stuttgart war die Keimzelle der «Querdenken»-Bewegung, danach verbreiteten sich die Proteste in der Pandemiephase im ganzen Bundesgebiet. Die Anhängerinnen und Anhänger demonstrierten immer wieder gegen die politischen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Dabei gab es auch Angriffe auf Polizisten und Medienvertreter. Der Verfassungsschutz nahm die Szene wegen verfassungsfeindlicher Ansichten, Verschwörungsideologien und antisemitischer Tendenzen in den Blick.