Vielerorts sind E-Tretroller zum Ausleihen umstritten - in Gelsenkirchen müssen sie nun schon bis zu diesem Wochenende aus der Stadt verschwinden.
In einem Streit zwischen der Ruhrgebietsstadt und den beiden Verleihern Bolt und Tier entschied das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in einem Eilverfahren, die zwei Unternehmen müssten die städtische Verfügung befolgen, «die E-Scooter bis zum 20. April 2024 aus dem öffentlichen Verkehrsraum zu entfernen».
Die Stadt hatte von den Verleihfirmen zuvor verlangt, dass sie die Identität ihrer Nutzer feststellen müssen. «Die E-Roller werden leider hauptsächlich missbräuchlich genutzt, auch in Fußgängerzonen, auf Gehwegen und es hat viele schwere Unfälle gegeben», sagte Stadt-Sprecher Martin Schulmann der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag. Die Nutzer seien aber bislang nicht zu ermitteln. Zuvor hatten der WDR und weitere Medien berichtet.
Ein Sprecher der Firma Bolt betonte auf dpa-Anfrage, es handele sich nicht um eine endgültige Entscheidung. Lediglich die Eilanträge der beiden Unternehmen seien abgelehnt worden. Die Plattform Shared Mobility (PSM) warf der Stadtverwaltung in einer - mit dem Anbieter Tier gemeinsam erarbeiteten - Stellungnahme ein «unverhältnismäßiges und diskriminierendes Vorgehen» gegen E-Scooter vor. E-Scooter seien mit 20 Kilometern pro Stunde langsamer als ein Pedelec und das kleinste Fahrzeug auf der Straße. Das letzte Wort dürfte in dem Konflikt noch nicht gesprochen sein.
Die Position der Stadtverwaltung
Bisher reicht die Angabe des Namens, um sich bei den beiden Verleihern einen E-Tretroller auszuleihen, schilderte Schulmann. Damit könnten aber auch Fantasienamen in der Verleih-App hinterlegt werden, die tatsächlichen Kundinnen und Kunden seien nicht zu identifizieren, Daher habe die Stadt verlangt, dass Nutzer sich bei ihrer Anmeldung einmalig etwa mittels Personalausweis oder Führerschein bei den Verleihfirmen registrieren, damit man sie im Bedarfsfall ermitteln könne. Bolt und Tier wandten sich gegen die entsprechende Ordnungsverfügung, scheiterten nun aber in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor dem Verwaltungsgericht (VG).
Leih-E-Scooter gelten vielerorts als Risiko
E-Tretroller gelten in vielen Städten Deutschlands als großes Ärgernis und Sicherheitsrisiko, weil sie - achtlos abgestellt oder auf den Boden geworfen - zum Hindernis werden und durch mitunter rücksichtslose Nutzung Unfälle verursacht werden. In Gelsenkirchen kam es Schulmann zufolge schon zu gravierenden Unfällen. So sei ein zweijähriges Mädchen umgefahren worden und habe schwere Kopfverletzungen erlitten, die E-Scooter-Fahrerin habe sich aus dem Staub gemacht. Ein E-Biker habe sich tödlich verletzt, als er in der Dunkelheit gegen einen E-Scooter gefahren sei, der mitten auf dem Weg gelegen habe. Auch aus anderen Städten werden immer wieder Unfälle gemeldet. Man habe schon viele Nachfragen aus anderen Kommunen erhalten, berichtete Martin Schulmann.
Was sagt das Verwaltungsgericht?
Laut VG «ist nicht erkennbar, dass die Entscheidung der Stadt, die Erteilung der Erlaubnisse von einer Identitätsprüfung der Nutzer abhängig zu machen, offensichtlich ermessensfehlerhaft ist.» Das öffentliche Interesse an einer «sofortigen Erfüllung dieser aller Voraussicht nach rechtmäßig ausgesprochenen Verpflichtung» seitens der Stadt überwiege. Weiter hieß es: «Das der Sache nach auf den vorläufigen Weiterbetrieb des E-Scooter-Verleihs gerichtete Begehren der Unternehmen auf Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen blieb ohne Erfolg.» Gegen die Entscheidung vom vergangenen Montag könne Beschwerde erhoben werden, über die das Oberverwaltungsgericht für NRW dann ebenfalls vorläufig entscheide.
Stadt-Sprecher Schulmann sagte, es gehe um insgesamt 350 E-Tretroller. Er habe aktuell - also schon vor der Frist am Samstag - keinen einzigen Leih-E-Scooter mehr in der Stadt gesehen. In Gelsenkirchen seien keine weiteren Verleiher tätig. Es gebe bereits viele Kommunen, die wissen wollten, «wie wir das denn genau gemacht haben». Die Stadt Gelsenkirchen sei die erste deutsche Großstadt, die die E-Scooter auf diesem Wege aus der Stadt entferne. «Wir sind Vorreiter.» Bei einer angemessenen und sicheren Nutzung gemäß der Verkehrsregeln könnten E-Scooter durchaus sinnvoll und eine umweltfreundliche Alternative sein, ergänzte der Stadt-Sprecher.
Bolt hat Klage eingereicht
Ein Bolt-Unternehmenssprecher kritisierte, Gelsenkirchen verlange seit dem 1. April als einzige Stadt in Deutschland von Betreibern von Sharing-E-Scootern eine obligatorische Identitätsprüfung der Kunden. «Als Anbieter lehnen wir dies ab. Aus unserer Sicht ist es eine ungerechtfertigte Maßnahme, die keine Relevanz für den Straßenverkehr oder die Sondernutzungsrechte der Anbieter hat.» Eine endgültige Entscheidung sei aber nicht getroffen. Dafür braucht es ein Hauptsacheverfahren, wie Verwaltungsgerichtssprecher Wolfgang Thewes erläuterte. Beim VG sei eine solche Klage von Bolt auch bereits eingegangen. Vom Anbieter Tier liege dem VG aktuell keine Klage vor.
Bolt prüft zudem nach eigenen Angaben «Amtshaftungsansprüche» aufgrund des erwartbar entstehenden ökonomischen Schadens. Das wäre dann ein Zivilverfahren, das laut VG vor dem Landgericht zu führen wäre. Die rechtliche Situation sei nicht abschließend geklärt und doch müsse man die E-Scooter aus der Stadt entfernen, monierte der Bolt-Sprecher. Das treffe unmittelbar rund 40.000 Nutzer in Gelsenkirchen. Sie müssten «vorerst ohne das beliebte und umweltfreundliche Mobilitätsangebot auskommen, mit dem sie 2023 noch 400.000 Kilometer im Stadtgebiet zurückgelegt haben».