Der Ärger über die verlorene Fahnenträger-Wahl ist bei Alexander Zverev verraucht. «Es ist okay», sagte der Tennisstar nach einem Training im Stade Roland Garros achselzuckend. Der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele am Freitag wollte Zverev wie das gesamte deutsche Tennisteam beiwohnen - wenn auch nicht in vorderster Reihe. Theoretisch gebe es noch eine zweite Chance, als Fahnenträger das Team D anzuführen: bei der Abschlusszeremonie am 11. August. Doch angesichts des straffen Zeitplans im Tennis-Zirkus plant Zverev keinen so langen Aufenthalt in Paris. Bis zum Finaltag am 4. August will er aber auf jeden Fall bleiben - und dann auch sein zweites Olympia-Gold holen.
«Ja, Paris möchte ich gewinnen», hatte der 27 Jahre alte Hamburger unlängst zu seinen Olympiazielen gesagt: «Das ist der Plan.» Erst recht auf seinem Lieblingsbelag Sand und auf dem Court Philippe Chatrier, wo er vor sieben Wochen im Finale der French Open nach einem Fünfsatzkrimi vom Spanier Carlos Alcaraz nur denkbar knapp geschlagen wurde.
Die zweite Niederlage im zweiten Grand-Slam-Finale könne Zverev zwar «nicht so locker abschütteln», sagte Davis-Cup-Kapitän Michael Kohlmann, «er hat jetzt aber eine gute Chance, in einem anderen Event sich wieder gute Erinnerungen zu schaffen». Und die Chancen stehen gut.
Gute Auslosung - aber wie geht's dem Knie?
Die Auslosung am Freitag bescherte dem an Nummer drei gesetzten Deutschen in Jaume Munar aus Spanien einen relativ einfachen Auftaktgegner. Im Viertelfinale könnte es zur Revanche gegen US-Profi Taylor Fritz kommen, der für Zverevs Achtelfinal-Aus in Wimbledon sorgte. In der Runde danach könnte der 24-malige Grand-Slam-Turniergewinner Novak Djokovic aus Serbien warten. Ein erneutes Duell gegen Alcaraz wäre erst im Finale am 4. August möglich.
Die Goldchancen sind auch dadurch gestiegen, dass der Weltranglistenerste Jannik Sinner aus Italien erkrankt absagen musste. Aber wie fit ist Zverev selbst? Seine in Wimbledon erlittene Knieverletzung bereitet ihm keine großen Sorgen mehr. Auch das kräftezehrende Turnier in seiner Heimatstadt Hamburg mit der knappen Finalniederlage am vergangenen Sonntag gegen den Franzosen Arthur Fils hat dem Heilungsprozess offenbar nicht geschadet. «Hamburg war zäh, aber jetzt ist es okay», sagte Zverev.
Zverev hat im Stade Roland Garros gleich zwei Medaillenchancen. Im Mixed tritt er mit Laura Siegemund an, das an Nummer 1 gesetzte Duo trumpfte beim deutschen Sieg im United Cup Anfang des Jahres groß auf. Doch die Auftaktgegner Katerina Siniakova und Tomas Machac aus Tschechien sind nicht zu unterschätzen.
An Motivation mangelt es Zverev nicht. «Das ist das größte Event dieses Jahres», sagte der Weltranglistenvierte. Sein Olympiasieg vor drei Jahren in Tokio war nicht nur sportlich ein Riesenerfolg, sondern gab ihm auch einen enormen Sympathie-Schub in der Öffentlichkeit. Die vielen Freudentränen und fast schon kindliche Begeisterung machten Zverev für viele Sportfans nahbarer. Die Erinnerungen daran werden in Paris «mit Sicherheit hochkommen», sagte Kohlmann.
Wohnen im «Jugendherberge-Stil»
Anders als bei den Corona-Spielen in Tokio wird das Tennisturnier wieder vor vollen Rängen gespielt, und auch das Leben im Olympische Dorf kann Zverev unbeschwerter genießen. Der Tennis-Millionär, der auf der ATP-Tour meist in Luxus-Hotels absteigt, «freut sich ehrlich auf die WG» der Tennisspieler mit spartanischer Einrichtung, wie Doppelspieler Tim Pütz verriet: «So ein bisschen Jugendherberge-Stil, muss man ehrlich sagen. Richtig witzig. Hat man nur alle vier Jahre.»
Genauso wie die Chance auf die Ehre des Fahnenträgers. Diese wurde bei den Männern Dennis Schröder zuteil, Zverev musste sich bei der Wahl durch Fans und das deutsche Olympiateam dem Basketball-Weltmeister deutlich geschlagen geben. «Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihn das eher noch anspornt, als dass es ihn so beschäftigt, dass er dann schlechter spielt», meinte Kohlmann.
Der Deutsche Tennis Bund hofft in Paris, wo die dreimalige Grand-Slam-Turniergewinnerin Angelique Kerber ihr letztes Turnier vor dem Rücktritt bestreitet, auf mindestens «eine Medaille», wie Trainer Kohlmann bestätigte: «Wir würden uns aber auch nicht dagegen wehren, wenn es mehr wird.»
Redaktionshinweis: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, dass Djokovic aus Spanien komme. Es muss heißen: aus Serbien