Von Influencern generierte Trends machen allzu oft auch vor Tieren nicht halt. Aktuell zum Beispiel werden immer mehr Katzen an der Leine durch Großstadtstraßen geführt - oder in einen Rucksack gesteckt und so zu langen Ausflügen oder gar in ferne Länder mitgenommen. Experten sehen den Trend kritisch, weil er suggeriert, dass Katzen wie Hunde Gassi gehen können und das in jedem Fall genießen.
Für unterforderte Wohnungskatzen könne es zwar eine Bereicherung darstellen, sich regelmäßig an Geschirr und Leine in einem sicheren, naturnahen Bereich in direkter Wohnungsnähe aufhalten zu können, sagt Angelika Firnkes von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Spaziergänge an wechselnden Orten, durch belebte Stadtparks, lange Wandertouren oder lange Transportstrecken seien aber nicht sinnvoll.
Beobachter, keine Dauerläufer
«Katzen sind Lauerjäger, sie durchstreifen durchaus ihr Revier, halten sich aber meist in ihren bevorzugten Jagdrevieren oder Rückzugsorten auf und nutzen auch häufig dieselben Wege», erklärt die Tierverhaltenstherapeutin. Selbst eine Tour etwa im ummauerten Innenhof sei nicht per se schön für jedes Tier: Auf Alter, Charakter und Gesundheit der Katze komme es ebenso an wie auf das Einfühlungsvermögen und die Trainingsbereitschaft des Halters.
Ebenso wie das Färben von Hunden (Doggy Dyeing), das Streicheln von Eulen in japanischen Cafés (Owl Cafe) oder das Halten von Minischweinen als Haustier (Teacup Pigs) sind Spaziergänge mit Hauskatzen ein kritisch zu sehender Trend. Großen Anteil am Interesse an diesen Themen haben Accounts wie «louieandtodd» und «nala_the_bengali» bei Instagram.
Petfluencer-Treffen im Park
Die noch junge Bengal-Mix-Katze Nala mit etwa 60.000 Followern ist in den Videos bisher meist in der Landschaft unterwegs, wurde aber auch schon aufs SUP oder zum Flughafen-Training mitgenommen. Die beiden Britisch-Kurzhaar-Kater Prince Louie und Todd aus Chicago haben schon einiges mehr mitgemacht. Mit Häkelmütze auf dem Kopf, bunter Schleife um den Hals oder mit Katzenpulli bekleidet sind sie weit herumgekommen und machen unter den mehr als 170.000 Followern ordentlich Werbung für Katzen-Equipment.
Im Central Park in New York werden die Kater mit anderen Petfluencer-Katzen von Menschen umringt zum Gruppenfoto platziert. Sie sind in Shopping-Malls unterwegs, bekommen bei Starbucks Milchschaum gereicht und werden passend zur Jahreszeit mit Hasenohren oder Weihnachtskostüm fotografiert.
Gestreichelt von hunderten Fremden
Todd war schon auf Osteuropa-Tournee und immer neue Videos zeigen, wie die beiden Kater scheinbar stoisch gelassen die Streicheleinheiten und Umarmungen unzähliger Fans und vermeintlicher Katzenliebhaber über sich ergehen lassen. «Süüüß», wird das in etlichen Kommentaren gefunden.
Die Petfluencer werden stets entspannt gezeigt, kritische Situationen etwa mit Hunden gibt es wundersamerweise offenbar nie. In sozialen Medien werden Nachahmungsversuche oft unter Hashtags wie #CatOnALeash oder #LeashTrainingCats dokumentiert - durchaus auch solche, bei denen die Katze panisch an der Leine zerrt oder sich sichtlich angsterfüllt auf den Boden drückt und keinen Schritt tut.
Ein schönes Katzenleben?
Prince Louie und Todd ist auf den gezeigten Bildern und Videos kein Stress anzumerken - dass sie begeistert von den knuddelnden Menschenmassen und den vielen Rucksack-Trips durch volle Straßen und Läden sind, ist aber unwahrscheinlich. Grundsätzlich seien Katzen ortstreue Tiere und für die große Mehrheit von ihnen seien Transporte und Ortswechsel mit großem Stress verbunden, erklärt Moira Gerlach von der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT).
«Falls es der Wunsch ist, dass man richtige Spaziergänge mit der Katze machen kann, ist eine Katze als Haustier sicherlich nicht die geeignete Wahl», betont die Leiterin des TVT-Arbeitskreises Hunde & Katzen. Denn auch wenn von Influencern gern betont wird, dass sich eine Katze genauso an der Leine führen lasse wie ein Hund: Das Bewegungsmuster der Tiere unterscheidet sich in Wahrheit ganz grundsätzlich.
Katzen laufen am liebsten von Versteck zu Versteck und beobachten in aller Ruhe ihre Umgebung. Wenn sie etwas Interessantes erspähen, können sie von jetzt auf gleich lossprinten. Sie klettern und balancieren, erkunden Nischen - alles in ihrem eigenen Tempo und so, wie sie es wollen.
Die Katze gibt die Richtung vor
Falls Besitzer einen Spaziergang an der Leine nach ausreichend Vorbereitung und geduldigem Training dennoch einmal testen möchten, sollte die Katze über das Erkunden der Umgebung bestimmen dürfen, sagt Gerlach. «Es sollte nicht um das Zurücklegen einer bestimmten oder festgelegten Strecke gehen.» Zu beachten sind auch Verletzungsrisiken etwa durch freilaufende Hunde.
«Katzen flüchten bei Gefahr meist in Richtung gewohnte Sicherheit, zum Beispiel zurück durch die nahegelegene Terrassentür oder in die Höhe», ergänzt Firnkes. Bei einer panisch flüchtenden Katze könne sich die Leine im Gebüsch oder oben im Baum verheddern und das Tier strangulieren.
Nichts zum nur mal Testen
Umgekehrt kann eine Katze so viel Freude an der Abwechslung beim Ausgang empfinden, dass sie ihn vehement und häufig einfordert, wie Experten warnen. Es kann zu Frustration kommen, wenn Spaziergänge nur unregelmäßig stattfinden oder wieder ganz eingestellt werden, wie Firnkes sagt. Frustrierte Katzen können Verhaltensweisen wie Unsauberkeit oder das Bearbeiten von Möbelstücken und Türen zeigen.
Sehr deutliche Worte finden die beiden Haustier-Expertinnen für die Idee, Katzen im Rucksack mit auf Wanderungen oder zum Shoppingbummel zu nehmen, wie es in Instagram-Beiträgen sehr häufig gezeigt wird - gern verbunden mit Werbung für das jeweilige Produkt. «Die Mitnahme von Katzen im Rucksack auf lange Wanderungen ist abzulehnen», sagt Firnkes. Es gebe «keinen einzigen vernünftigen Grund», das einer Katze anzutun, betont auch Gerlach. «Hier werden höchstens die Bedürfnisse der Besitzer und Besitzerinnen befriedigt.»
Tierschutzwidrig: Katzenrucksäcke
Gerade auf längeren Strecken seien ein zu geringer Luftaustausch oder ein Hitzestau möglich. «Der manchmal gegebene Tipp, die Katzen im Rucksack anzuschnallen, ist zudem gefährlich», so Gerlach. Die Tiere könnten sich verletzen oder sogar strangulieren. «Der Transport in einem Katzenrucksack stellt keine verhaltensgerechte Unterbringung dar und Schmerzen, Leiden oder Schäden können durch die Nutzung nicht ausgeschlossen werden», lautet das Fazit Gerlachs. «Daher sind Katzenrucksäcke aus Sicht der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz als tierschutzwidriges Zubehör einzustufen.»
Insgesamt betrachtet sei für Katzen Freigang ohne Leine das beste, betont Firnkes. «Wenn der aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist, ist aus Katzensicht die beste Alternative ein katzensicher eingezäunter, naturnaher Garten.»