Der Kölner Superheld hat kein besonders cooles Outfit. Rotweiße Zipfelmütze, Weste mit Goldknöpfen, Kniebundhose und weiße Strümpfe. Soweit das Aussehen. Auch die Akustik ist nicht unproblematisch: Was er sagt, versteht man bestenfalls zum Teil, denn er spricht eine Sprache, die heute auch in seiner Heimatstadt nahezu ausgestorben ist - Kölsch. Ein schwieriger Fall, dieser Hänneschen - oder wie man in Köln sagt: das Hänneschen. Dieses Jahr feiert es sein 222-jähriges Bestehen, es stammt aus der Zeit Napoleons.
Trotz dieser historischen Altlasten ist es denkbar erfolgreich: Das nach ihm benannte Hänneschen-Theater, mit knapp 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eines der größten Puppentheater Deutschlands, ist immer ausverkauft und die einzige städtische Bühne in Köln, die 60 Prozent ihres Finanzbedarfs selbst erwirtschaftet. Was ist das Erfolgsgeheimnis?
Es gibt darauf wohl mehrere Antworten. Eine davon lautet: Mundart-Theater mag traditionell oder sogar altmodisch sein, aber es ist in gewisser Weise auch wieder zeitgemäß: Kinder aus Flüchtlingsfamilien etwa sind hier mal nicht in der schwächeren Position, denn ihre sogenannten biodeutschen Klassenkameraden verstehen auch nicht viel mehr als sie. Das macht auch nichts, denn das Stück erschließt sich in erster Linie auf einer anderen Ebene: Die Puppen, die Kulissen, die Lichteffekte, die Lieder - all das bannt die Aufmerksamkeit der jungen Zuschauerinnen und Zuschauer. In diesem Theater ist alles analog, nichts digital. «Und das zieht», sagt Puppenspielerin Almut Solzbacher.
Während im Zuschauerraum knapp 300 Kinder die Abenteuer von Hänneschen verfolgen, sind hinter der Bühne gleich mehrere Puppenspieler in Aktion. Wer hier arbeiten will, muss erstens Kölsch sprechen, zweitens unter 1,80 Meter groß sein - weil er oder sie sonst mit dem Kopf in den Bühnenraum ragen würde - und drittens Multitasking beherrschen. Denn die Spielerinnen und Spieler führen die Puppen nicht nur von unten an Stäben, sondern leihen ihnen auch ihre Stimmen.
«Am Anfang ist das wirklich schwierig, da konzentriert man sich auf den Text und denkt dann: "Hilfe, ich muss ja auch spielen!"», erinnert sich Spielerin Solzbacher. «Es braucht ein paar Jahre, bis das Sprechen und Führen der Puppe zu einer Einheit geworden sind.»
Das Live-Sprechen erleichtert die Interaktion mit dem Publikum, das hier nicht etwa andächtig schweigend in den Polstersesseln hängt, sondern lautstark mitgeht. «An Karneval hat man manchmal wirklich das Gefühl, die sind mittendrin statt nur dabei», sagt Theaterintendantin Mareike Marx.
Die Schauspielerin ist 39 Jahre alt und als Kind selbst oft als Besucherin hier gewesen. Ihre Lieblingsfigur war Bärbelchen, die weibliche Hauptdarstellerin mit langen blonden Zöpfen. Kurioserweise ist Bärbelchen in den Kindervorstellungen die Schwester vom Hänneschen und in den Erwachsenenvorstellungen seine Verlobte, was durchaus ein Schock sein kann, wenn man als junger Mensch aus Köln zum ersten Mal in die Abendvorstellung geht.
Viele Jahre lang wurde Bärbelchen immer von derselben Puppenspielerin bewegt und gesprochen, Uschi Hansmann. Mareike Marx hat heute noch regelmäßig Kontakt mit ihr. Wenn sie mit ihr zusammensitzt und sie dann urplötzlich etwas in der Bärbelchen-Stimme sagt, können der jungen Intendantin die Tränen in die Augen springen. «Das ist, weil das eben so tief sitzt. Das sind ganz frühe, prägende Erfahrungen. Das Haus hier ist für viele ein Stück Heimat, und das ist immer mit großen Emotionen verbunden.»
So ist das Theater einerseits ein Hort der Tradition, aber auch eine Institution, die alle einschließen und mit der Zeit gehen will. Für Mareike Marx ist das ein Balanceakt. Was für sie tabu ist, sind die teils seit Jahrhunderten feststehenden Charaktere des Theaters: Neben Hänneschen und Bärbelchen sind das etwa der etwas einfältige Tünnes, der durchtriebene Schäl und der Polizist Schnäuzerkowski, eine Karikatur preußischen Beamtentums.
«Das sind unsere festen Typen, und die darf man nach meiner Überzeugung nicht brechen. Aber gleichzeitig müssen wir auch relevant bleiben.» Das bedeutet, dass die Figuren durchaus auch weiterentwickelt werden. Bärbelchen zum Beispiel ist anders als früher nicht mehr nur Sidekick und Stichwortgeberin von Hänneschen, sondern hat auch eigene Pointen.
Soeben ist die Nachmittagsvorstellung zuende gegangen, und jetzt haben die Kinder die Möglichkeit, Mareike Marx Fragen zu stellen. Wie sie auf die Idee zu dem Stück gekommen sei, will ein Junge wissen. «Vielleicht kennt ihr schon Instagram, wo immer so getan wird, als ob alles, alles wunderschön sein kann und muss», antwortet sie. «Da hab' ich mich gefragt: Ist das denn wirklich das, was einen glücklich macht? Und die Antwort darauf gibt das Stück.»
Minuten später strömen die Kinder laut erzählend nach draußen. Hinter der Bühne ist das Leben aus Hänneschen und Bärbelchen entwichen, die Spieler haben sie abgelegt. Wenn man vor den reglosen Figuren steht, begreift man erst richtig, dass all die Charaktere nur für die Dauer der Vorstellung existieren - oder nicht einmal das. Im Grunde gibt es sie nur in der Fantasie jedes einzelnen Zuschauers und jeder einzelnen Zuschauerin.