Mitten in seiner eigenen Drittrunden-Partie bei den US Open sah Alexander Zverev auf der großen Videoleinwand die Bilder des sensationellen Aus von Novak Djokovic - und war direkt etwas abgelenkt. «Man kriegt das mit, vielleicht war das irgendwo ein bisschen störend, weil ich weiß, dass Novak jetzt nicht mehr in meiner Hälfte ist», berichtete der 27-Jährige um kurz vor drei Uhr morgens beim Ausradeln auf einem Fitnessbike nach der eigenen kräftezehrenden Nachtschicht.
Zverev bezwang den Argentinier Tomás Martin Etcheverry mit 5:7, 7:5, 6:1, 6:3 und verwandelte den Matchball zum Achtelfinaleinzug in New York erst um 2.35 Uhr Ortszeit. Für Djokovic war das Grand-Slam-Turnier da schon knapp drei Stunden vorbei. Auch durch das Scheitern des Serben und das ebenso überraschende Aus von Carlos Alcaraz steigen die Chancen von Zverev auf den angestrebten ersten Titel bei einem der vier größten Turniere der Saison.
Jubiläumssieg für Zverev
«Es ist schon ein großer Name», sagte Zverev über das Aus von Djokovic, warnte aber: «Ich muss mich auf mich selber konzentrieren, wie man heute gesehen hat. Jeder kann bei einem Grand Slam überragendes Tennis spielen. Ich muss erstmal selber meine Matches gewinnen.»
Der 27-Jährige feierte seinen 100. Sieg in einem Grand-Slam-Spiel. Er ist der erste Spieler, der nach 1990 geboren wurde, der diese Marke erreicht.
«Es hat so viel Spaß gemacht, zu spielen. Ich bin einfach froh, dass ich weiter bin», sagte Zverev im Sieger-Interview und richtete sich an die einigen Hundert Fans, die noch im Louis Armstrong Stadium ausgeharrt hatten: «Danke, dass ihr alle so lange geblieben seid. Es ist ein Freitagabend in New York. Um ehrlich zu sein, wenn ich einen freien Freitagabend in New York hätte, wäre ich jetzt woanders.». Nur ein Spiel war in der Geschichte der US Open später zu Ende gegangen.
Der Tennis-Olympiasieger von 2021 trifft in der Runde der besten 16 nun auf den Amerikaner Brandon Nakashima. Der 23-Jährige bezwang in vier Sätzen den Italiener Lorenzo Musetti, der den Traum von Zverev vom erneuten Gold bei Olympia zuletzt im Viertelfinale von Paris beendet hatte.
Nach Alcaraz scheitert auch Djokovic
Auf dem weiteren Weg zum möglichen ersten Grand-Slam-Titel hätte Zverev frühestens im Halbfinale auf Djokovic treffen können, Alcaraz wäre möglicher Endspielgegner gewesen. Djokovic unterlag dem Australier Alexei Popyrin in der dritten Runde mit 4:6, 4:6, 6:2, 4:6 und schied damit so früh aus wie seit 2006 nicht mehr bei den US Open.
«Es war ein schreckliches Match von mir», sagte der 37 Jahre alte Serbe konsterniert. «Ich habe teils mein schlechtestes Tennis jemals gespielt, so schlecht aufgeschlagen wie nie.» Damit bleibt der 24-malige Grand-Slam-Turniersieger diese Saison erstmals seit 2017 ohne einen Triumph bei einem der vier größten Turniere.
Knapp einen Monat nach seinem Triumph bei Olympia in Paris zeigte sich Djokovic weit von der Glanzform des Finalsiegs über Alcaraz entfernt. «Ich habe viel Energie aufgewendet, um Gold zu gewinnen und bin in New York angekommen, ohne mich mental und physisch frisch zu fühlen», sagte er. Zuvor war bereits der Weltranglistendritte Alcaraz aus Spanien überraschend in der zweiten Runde dem Niederländer Botic van de Zandschulp unterlegen.
Zverev-Spiel beginnt erst kurz vor 23.00 Uhr
Um 22.51 Uhr Ortszeit betrat Zverev den Platz im Louis Armstrong Stadium. Die vorigen Partien hatten so lange gedauert, dass der Hamburger seine Partie erst kurz vor elf mit dem ersten Aufschlag eröffnete. Direkt im ersten Punkt forderte Zverev den Videobeweis an, weil er fälschlicherweise der Ansicht war, dass der Ball auf seiner Seite nicht zweimal den Boden berührt hatte.
Auch sonst geriet der Auftakt holprig. Mit einem Rückhandfehler kassierte Zverev direkt das erste Break. Viel zu viele Ungenauigkeiten prägten sein Spiel, insgesamt unterliefen ihm 23 leichte Fehler im ersten Satz. «Ich glaube, Novaks Match war bei 5:5 im ersten Satz vorbei, da habe ich direkt erstmal zwei Spiele verloren», sagte Zverev schmunzelnd. «Ich bin glücklich, dass ich mich noch gefangen habe.»
15 Minuten vom Rekord entfernt
Zverev stabilisierte sich, holte sich den ebenso knappen zweiten Durchgang. Nach einem Zwiegespräch mit Bruder Mischa während einer Toilettenpause von Etcheverry spielte Zverev immer stärker auf. Immer wieder suchte er erfolgreich den Weg ans Netz und schien wie so oft den Gegner mit seiner überragenden Physis zu knacken.
Doch Etcheverry steckte selbst sein anstrengendes Fünf-Satz-Match aus der zweiten Runde zunächst weg. Zwei Tage zuvor hatte er sich bei noch deutlich höheren Temperaturen sogar auf dem Platz übergeben.
So geriet der vierte Satz wieder spannender. Beim Stand von 2:3 wehrte Zverev gleich drei Breakbälle in Serie ab. Im folgenden Spiel nahm hingegen der Finalist von 2020 per Volley seinem Gegner den Aufschlag ab und durfte wenig später jubeln. Zum am spätesten beendeten Match der US Open fehlten nur 15 Minuten: 2022 besiegte Alcaraz im Viertelfinale Jannik Sinner aus Italien um 2.50 Uhr. «Wir hatten nur Pech, dass die anderen Matches so unfassbar lange gingen», sagte Zverev und wollte den Organisatoren keinen Vorwurf machen: «Da kann das Turnier nichts für.»