Gebannt sitzt Tabea Sellner im Deutschland-Trikot beim Public Viewing in Berlin vor dem Bildschirm – aber nicht allein: Auf dem Arm hält die Profifußballerin des VfL Wolfsburg ihren im April zur Welt gekommenen Sohn. Dass der zwischendurch auch gestillt werden will, ist für Sellner das «Natürlichste der Welt». Denn: «Wenn das Kind Hunger hat, muss es gestillt werden, egal wo ich bin. Deswegen hoffe ich, dass das präsenter wird und dass es für alle normal ist», sagt sie.
Noch sei das Stillen in der Öffentlichkeit für manche Menschen aber eben nicht normal. Schon gar nicht in Fußballstadien. In der Männer-Bundesliga gab es Anfeindungen. Deshalb will die 27 Jahre alte Sellner mit öffentlichen Auftritten wie in Berlin mehr Akzeptanz und Toleranz gegenüber stillenden Müttern in der Öffentlichkeit schaffen.
Ihre Schwangerschaft hatte die 25-malige deutsche Nationalspielerin im vergangenen September öffentlich gemacht. Bis Mitte Februar trainierte sie sogar noch individuell bei den Wölfinnen mit. Als sie Mutter wurde, sei ihr klar geworden, dass das öffentliche Stillen für Mütter keine Selbstverständlichkeit ist: «Mir war in der Tat bis zu dem Zeitpunkt, als ich selbst in der Situation war, nicht klar, dass das Stillen in der Öffentlichkeit in Deutschland überhaupt noch ein Thema ist», erzählt sie.
Petition gestartet
Sellner setzt sich nun mit einer Petition gegen die Diskriminierung stillender Mütter ein. Sie fordert, dass Stillen in der Öffentlichkeit unter gesetzlichen Schutz gestellt wird. Hintergrund der Petition ist, dass Inhaber von Cafés, Restaurants und Geschäften jederzeit von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und das Stillen in ihren Räumen verbieten können.
Die Petition, die sich an mehrere Bundesminister richtet, fordert jetzt einen gesetzlichen Schutz, der dies verhindert. In anderen europäischen Ländern wurden bereits spezifische Gesetze zum Stillen in der Öffentlichkeit geschaffen.
Auch die Hebamme und Mitunterstützerin der Petition, Sissi Rasche, hebt die gesellschaftliche Relevanz dieses Vorhabens hervor. Sie erhoffe sich von solchen Aktionen, dass das Stillen in der Öffentlichkeit mehr in den Alltag integriert werde. «Die Versorgung eines Säuglings sollte in unserer Gesellschaft Normalität und vor allem auch geschützt sein, deshalb brauchen wir da einfach eine gesetzliche Verankerung», fordert sie.
Sellner: Mehr Vielfalt und Toleranz im Fußball
Auch im Fußball ist das Thema aus Sicht der Stürmerin noch nicht ganz angekommen. «Ich glaube, dass sich generell noch ein bisschen was in Richtung Vielfalt und Toleranz tun muss und sollte.» Im Februar hatte Steffani Jenz, Ehefrau des Wolfsburger Profis Moritz Jenz, bei Instagram öffentlich gemacht, dass sie beim Bundesliga-Spiel des VfL bei Union Berlin beim Stillen im Familienbereich des Stadions An der Alten Försterei in einem fast menschenleeren Raum von einem Mann belästigt worden sei. Union hatte sich nach dem Vorfall bei Steffani Jenz entschuldigt.
«Das, was der Frau leider passiert ist, sollte eigentlich heutzutage nicht mehr passieren. Da muss man ein Stück weit toleranter und offener werden, so wie es generell im Fußball werden sollte», sagt Sellner. Eine Maßnahme könnten auch familienfreundlichere Abschnitte auf den Tribünen sein, schlägt sie vor.
UEFA: «Safe Space» für Mütter
Die Europäische Fußball-Union UEFA versichert auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass stillende Mütter auch während der EM in den Stadien willkommen sind: «In allen Stadien gibt es einen geschützten Raum, den die Mütter nutzen können, indem sie sich über QR-Codes an ein spezielles Awareness-Team wenden», heißt es. Das Awareness-Team könne dann die Mutter zu einem «Safe Space» begleiten. Das Vorgehen sei bereits bei einigen EM-Spielen zum Tragen gekommen, teilte der Verband mit.
Für Mütter bei Fußballspielen, egal ob beim Public Viewing oder in den Stadien, äußert Sellner noch einen Wunsch: «Das Schönste wäre, dass sich die Frau einfach hinsetzen kann, das Spiel genießt und stillt.»