Gut eine Woche nach dem tödlichen Messeranschlag von Solingen hat Hessens Innenminister auf die anhaltende abstrakte Gefährdung durch Terrorgruppen wie den Islamischen Staat (IS) hingewiesen. Mit Blick auf sein Bundesland erklärte der CDU-Politiker Roman Poseck: «Im vergangenen Jahr hat es 146 islamistische Straftaten gegeben, im Vorjahr waren es 27 gewesen. Das ist ein Anstieg um mehr als das Vierfache.» 

In Hessen gebe es eine «abstrakte Gefahr von Terroranschlägen», aber keine konkreten Hinweise auf ein bevorstehendes Attentat. Die AfD-Wahlerfolge am Sonntag in Ostdeutschland nannte Poseck besorgniserregend.

Anlässlich der Vorstellung des hessischen Verfassungsschutzberichts 2023 ergänzte der Landesinnenminister in Wiesbaden, der Islamismus gefährde die Demokratie. Daher sei seine Bekämpfung ein Schwerpunkt der hessischen Sicherheitsbehörden.

Unter anderem das Verbot des Zentrums für Islamische Kultur im Juli in Frankfurt sei bereits ein deutliches Signal des Rechtsstaats gewesen. Im nordrhein-westfälischen Solingen hatte dann am 23. August ein mutmaßlich islamistischer Syrer drei Menschen erstochen und acht verletzt. 

Auch mehr rechtsextreme Straftaten

Das Innenministerium nahm aber auch den Rechtsextremismus besonders in den Blick: Die Zahl der rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten stieg 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 394 auf 1.445 Delikte an. Das waren 37 Prozent mehr - ein Höchststand im Zehn-Jahres-Vergleich. 

Poseck mahnte: «Die Zahlen sind höchst alarmierend und unterstreichen, dass der Rechtsextremismus die größte Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ist. Jeder zweite Rechtsextremist in Hessen ist gewaltorientiert.»

«Kipppunkt der Demokratie» in Sicht?

Einen Anteil hieran hat nach Posecks Einschätzung die «voranschreitende Radikalisierung» der nun bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen so erfolgreichen AfD. Der hessische Innenminister erinnerte daran, dass diese Partei in den beiden Ländern als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Ihre jüngsten Wahlerfolge seien «sehr alarmierend». Er sehe daher die Gefahr, dass sich das Land einem Kipppunkt der Demokratie nähere. 

Poseck forderte mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden wie die Speicherung von IP-Adressen, eine Verschärfung des Waffenrechts, die deutliche Begrenzung der irregulären Migration, eine konsequente Abschiebung ausländischer Straftäter und eine Stärkung der Nachrichtendienste. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU), hatte zuvor die Teilnahme seines Innenministers Poseck an der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) vorgeschlagenen Arbeitsgruppe zur Migrations- und Sicherheitspolitik zugesagt. 

Zusammentreffen verschiedener hochgefährlicher Entwicklungen

Poseck mahnte in Wiesbaden, alle Bedrohungen gegen die Verfassung gleichermaßen ernst zu nehmen. Gegenwärtig gebe es auch in Hessen ein «außergewöhnliches Zusammentreffen verschiedener hochgefährlicher Entwicklungen». Poseck ergänzte: «Die Bekämpfung des Islamismus in den Mittelpunkt zu stellen, heißt nicht, den Rechtsextremismus zu vernachlässigen; gleiches gilt umgekehrt.»

Nach Worten von Bernd Neumann, Präsident des Landesverfassungsschutzes, gibt es besonders in der Neonaziszene auch Gewalt- und Umsturzfantasien. Kampftechniken zu lernen, sei in der rechtsextremistischen Szene ein Thema mit weiter steigender Bedeutung. 

Mehr Reichsbürger

Die Reichsbürgerszene in Hessen hat sich laut dem Verfassungsschutzbericht 2023 um 100 auf 1200 Personen ausgeweitet. Ihr Spektrum reiche von Verschwörungsideologen bis zu hochgefährlichen und «waffenaffinen» Extremisten, erklärte Minister Poseck. 

Beim Linksextremismus sei das Potenzial gewaltorientierter Personen um 120 auf 720 gestiegen. «Insbesondere Angehörige der autonomen Szene bekämpfen den Staat und politische Gegner teils mit gezielter Gewalt und greifen anlassbezogen auch Polizisten an», erläuterte der Innenminister. «Teile der linksextremistischen Szene versuchen auch, Einfluss auf die Klimaprotestbewegung zu nehmen, um Personen zu ideologisieren und sie letztlich zum gewaltsamen Kampf gegen den Staat zu motivieren.»

Spionageabwehr mehr gefordert

Die Spionageabwehr ist in Hessen laut Verfassungsschutzchef Neumann so stark gefordert sei wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr: «Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine stehen die russischen Geheimdienste unter hohem Erfolgsdruck und benötigen insbesondere kriegsrelevante Informationen.» Auch mit russischer Sabotage etwa bei der 
Verkehrsinfrastruktur müsse jederzeit gerechnet werden. Hinzu kämen massive russische Propaganda und Desinformation. Aber auch mit Aktionen von China und dem Iran sei die hessische Spionageabwehr beschäftigt. 

Die Zahl antisemitischer Straftaten stieg laut Verfassungsschutzbericht 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 224 Prozent auf 347 an. Poseck erläuterte: «Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ist der Antisemitismus wieder erschreckend sichtbar geworden. Viele Straftaten werden auf Versammlungen begangen. Auf diesen wird das Existenzrecht Israels geleugnet und letztlich zur Zerstörung des Staates Israel aufgerufen.»