Beim Industriekonzern Thyssenkrupp ist der Streit um die Neuaufstellung der Stahlsparte weiter eskaliert: Drei Stahlvorstände und vier Aufsichtsratsmitglieder werfen hin, darunter auch Chefaufseher Sigmar Gabriel und Stahlchef Bernhard Osburg. Die Mandate des Vorstandes würden mit sofortiger Wirkung enden, erklärte Gabriel in Duisburg nach einer Aufsichtsratssitzung der Stahlsparte. Die Aufsichtsräte wollen ihre Mandate fristgerecht niederlegen. Erst am Vortag hatten Medien berichtet, dass den drei Vorständen Aufhebungsverträge vorgelegt worden seien.
Gabriel macht Thyssenkrupp-Chef schwere Vorwürfe
Gabriel sieht die Verantwortung für die Rücktritte vor allem bei Thyssenkrupp-Chef Miguel López. Dieser habe eine «beispiellose Kampagne» gegen den Stahlvorstand öffentlich in Gang gesetzt. Dies sei ein «schwerer Vertrauensbruch». «Offenbar war es das Ziel, den Vorstand zur Aufgabe zu bewegen.» López hatte dem Stahlvorstand im Zusammenhang mit dessen Plänen für die Neuaufstellung vor rund drei Wochen öffentlich «Schönfärberei» vorgeworfen. Der Stahlvorstand solle endlich einen langfristig tragfähigen Geschäftsplan für die Neuausrichtung der Stahlsparte vorlegen, hatte López gefordert.
Hintergrund ist unter anderem ein erbitterter Streit um die finanzielle Ausstattung der Sparte durch den Mutterkonzern bei der geplanten Verselbstständigung und Neuaufstellung. Die bisherigen Pläne des Stahlvorstands für die Restrukturierung gehen dem Mutterkonzern nicht weit genug.
Die Stahlsparte leidet seit Langem unter der Konjunkturschwäche und Billigimporten. Sie muss unter anderem deshalb Kapazitäten und damit auch Personal abbauen. Was das Stühlerücken in Vorstand und Aufsichtsrat für die Zukunft der Beschäftigten bedeutet, ist derweil noch völlig offen. Der Aufsichtsrat hatte eigentlich einen Plan für die Finanzierung der kommenden zwei Jahre fassen wollen - doch dazu kam es nicht.
Die Thyssenkrupp-Stahlsparte ist Deutschlands größter Stahlerzeuger. 27.000 Menschen sind dort beschäftigt, allein 13.000 davon arbeiten in Duisburg. Der Betriebsrat befürchtet im Zuge der Restrukturierung eine «Halbierung der Hütte» und den Abbau Tausender Arbeitsplätze.
Gabriel feuert auch gegen Eigentümer und Aufsichtsrat Russwurm
Gabriel bezeichnete die Anfang August vom Aufsichtsrat der Stahlsparte verabschiedeten Maßnahmen als «einen erfolgversprechenden Weg in die Neuaufstellung des Stahlunternehmens». Die Pläne sahen unter anderem den Verkauf der Hüttenwerke Krupp Mannesmann vor, an denen Thyssenkrupp Steel zu 50 Prozent beteiligt ist.
«Gut drei Wochen danach müssen wir mit großem Bedauern feststellen, dass es insbesondere mit dem Vorstandsvorsitzenden der Thyssenkrupp AG mit großer Unterstützung seines Aufsichtsrats Differenzen über diesen gemeinsamen Weg gibt», so Gabriel weiter. Aufsichtsratsvorsitzender des Mutterkonzerns Thyssenkrupp ist Siegfried Russwurm, der auch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ist.
Die frühere Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz hatte Gabriel 2022 als Aufsichtsratschef der Stahlsparte geholt, um die Unabhängigkeit im Prozess der Verselbstständigung voranzubringen. Er verabschiedet sich mit den Worten: «Ich wünsche den Beschäftigten vor allen Dingen, dass ihr so gute Chefs bekommt, wie ihr sie jetzt verliert, und bessere Eigentümer als ihr derzeit habt.»
IG Metall: «Wir stehen vor einem Scherbenhaufen»
Die IG Metall kritisierte die Vorgänge. «Die Ablösung der drei erfahrenen Stahlvorstände wirft uns meilenweit zurück», erklärte der Zweite Vorsitzende Jürgen Kerner, der auch im Aufsichtsrat der Muttergesellschaft sitzt. Mit diesen Personalentscheidungen werde vom Stillstand bei den eigentlichen Problemen abgelenkt. «Gut ein Jahr nach dem Amtsantritt von Herrn Lopez als CEO stehen wir vor einem Scherbenhaufen.»
Kritik kam auch aus der Politik. «Mit dem De-facto-Rauswurf des Stahlvorstandes löst Herr Lopez kein einziges Problem», erklärte die SPD-Landesvorsitzende NRW, Sarah Philipp. Im Gegenteil habe er damit jedwedes Vertrauen der Politik, der Belegschaft und in die Mitbestimmung zerstört. «Seine kalkulierte Attacke gegen die Arbeitnehmerseite verschärft die Krise des Unternehmens dramatisch.»