Die geplanten neuen europäischen Schuldenregeln könnten einer Untersuchung zufolge Investitionen in Bereiche wie Gesundheit, Bildung und Umweltschutz im Weg stehen. Bei Einhaltung der geplanten Regeln für Haushaltsdefizite und Staatsschulden seien ab 2027 nur noch Dänemark, Schweden und Irland in der Lage, sich die notwendigen Ausgaben zu leisten, heißt es in einem am Montag vom Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und der New Economics Foundation (NEF) veröffentlichten Bericht. Auch in Deutschland würden demnach Investitionen stark gehemmt, hieß es.
Die geplanten Regeln machten Europa ärmer, schadeten dem sozialen Gefüge der EU und schwächten die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft, kritisierten die Autoren. «Die Annahme der vorgeschlagenen Haushaltsregeln würde weniger Krankenhäuser, Schulen und erschwingliche Wohnungen bedeuten, und das zu einer Zeit, in der der Druck auf alle drei Bereiche steigt», sagte die EGB-Generalsekretärin Esther Lynch.
Nach langer Debatte hatten sich die EU-Länder und das Parlament Anfang Februar auf neue gemeinsame Schuldenobergrenzen verständigt. Zwar soll die individuelle Situation von Ländern stärker als bislang berücksichtigt werden. Grundsätzlich gilt in der EU aber weiterhin, dass der Schuldenstand eines Mitgliedstaates 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten darf. Zudem gilt es, das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit - also die vor allem durch Kredite zu deckende Lücke zwischen den Einnahmen und Ausgaben des öffentlichen Haushalts - unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu halten. Die neuen Pläne sehen weiterhin unter anderem klare Mindestanforderungen für die Rückführung von Schuldenstandsquoten für hoch verschuldete Länder vor.
Wieviel Klimaschutz will die EU sich leisten?
Kritiker betonten stets, dass die Regeln nötige Investitionen etwa in Klimaschutz oder in den sozialen Bereich die Luft abschnürten. Dagegen hatte die belgische EU-Ratspräsidentschaft zur Einigung im Februar mitgeteilt, die neuen Regeln würden dazu beitragen, ausgewogene und auf Dauer tragfähige öffentliche Finanzen zu erreichen sowie Strukturreformen durchzuführen. Die Einigung muss noch vom Plenum des Europaparlaments und dem EU-Ministerrat bestätigt werden. Das ist derzeit für Ende April geplant.
Unter Berufung auf Zahlen der Europäischen Kommission gehen die Autoren des Berichts davon aus, dass die Investitionen in die soziale Infrastruktur in Europa bereits jetzt um 192 Milliarden Euro pro Jahr unter dem Bedarf der Bürger liegen. Die Ergebnisse der Untersuchung nun zeigten, dass die vorgeschlagenen Haushaltsvorschriften kontraproduktiv für die sozialen und klimapolitischen Ziele der EU wären, schrieben die Autoren weiter.
Damit alle Mitgliedsstaaten ihren Bedarf an sozialen und grünen öffentlichen Investitionen decken können, würden ab 2027 - nach dem Auslaufen des milliardenschweren Corona-Aufbaufonds - zusätzlich 300 bis 420 Milliarden Euro jährlich benötigt, so die Autoren. Das entspreche 2,1 bis 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Staatengemeinschaft. Der erhöhte Investitionsbedarf könnte durch flexiblere Haushaltsvorschriften, neue Steuern und die Schaffung eines langfristigen EU-Investitionsfonds gedeckt werden, schlagen sie vor.