Vor dem Hintergrund aktueller Konflikte fordert die Chefin der weltweiten SOS-Kinderdorf-Bewegung, Angela Rosales, Kriege aus der Perspektive von Kindern zu sehen. «Vielleicht ist das nötig, um eine friedlichere Welt zu schaffen», sagte die amtierende Vorständin von SOS Children's Villages International der Deutschen Presse-Agentur in Wien.
Kriegserlebnisse in der Kindheit «können jahrzehntelang große Auswirkungen haben», sagte die Leiterin der Organisation, deren Grundstein heute vor 75 Jahren gelegt wurde. Am 25. April 1949 gründete der österreichische Medizinstudent Hermann Gmeiner mit einigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern den Verein «Societas Socialis» (SOS). Im selben Jahr wurde in Tirol mit dem Bau des ersten Kinderdorfs begonnen, wo verlassene und verwaiste Kinder nach dem Weltkrieg in Ersatzfamilien statt in Heimen aufwachsen konnten.
Heute ist SOS-Kinderdorf in mehr als 130 Ländern tätig. Der Fokus der Organisation liegt im Unterschied zu den Gründungsjahren heute viel stärker in der Sozialarbeit und der humanitären Hilfe, um es Kindern und Eltern zu ermöglichen, in Krisensituationen zusammenzubleiben. So sei etwa ein Kinderdorf in Rafah im südlichen Gazastreifen zu einem Hilfszentrum für Hunderte Menschen in und um diese Einrichtung geworden, sagte Rosales.
«Die größten Opfer jedes Konflikts sind die Kinder»
Manches hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg aus Sicht von Rosales nicht geändert. «Die größten Opfer jedes Konflikts sind die Kinder», sagte sie mit Blick auf den Verlust von Familienmitgliedern, psychische Langzeitfolgen, Mangelernährung und Bildungslücken. «Sie tragen keine Verantwortung, aber sie zahlen den höchsten Preis», so Rosales. Seit 1945 sei jedoch das Bewusstsein für Kinder in Kriegssituationen gewachsen, und Hilfsorganisationen hätten maßgeschneiderte Angebote entwickelt, betonte sie.
Abseits von Krisenherden wie der Ukraine, dem Gazastreifen, dem Sudan, dem Kongo oder Haiti beobachtet SOS-Kinderdorf auch wachsende Probleme in stabileren Regionen. In reicheren Ländern gebe es einen Trend zu häufigerem Drogen- und Alkoholmissbrauch von Eltern, sagte Rosales. Kinder seien dadurch hohen Risiken und der Trennung von ihren Vätern und Müttern ausgesetzt. Außerdem mangele es in Ländern wie Deutschland und Österreich an sozialer und psychologischer Unterstützung für Familien.