Gut fünf Monate nach den tödlichen Schüssen an einer Schule im badischen Offenburg steht der mutmaßliche Schütze wegen Mordverdachts vor Gericht. Der Prozess gegen den 15-Jährigen begann heute vor einer Jugendkammer des örtlichen Landgerichts, wie eine Sprecherin bestätigte. Wegen des Alters des Angeklagten ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Mit einem Urteil wird frühestens im Juli gerechnet.
Dem Jugendlichen, der in Untersuchungshaft sitzt, wird Mord und versuchter Mord vorgeworfen. Den Ermittlungen zufolge soll er am 9. November vergangenen Jahres mit einer Pistole in seiner Schule in Offenburg auf einen gleichaltrigen Mitschüler geschossen haben. Das Opfer starb wenig später im Krankenhaus. Ein Motiv für die Gewalttat war bisher nicht deutlich geworden - in Kreisen war damals von Eifersucht die Rede gewesen.
Schulleitung: «Die Sensibilität ist äußerst hoch»
Der gewaltsame Tod des Schülers hatte auch überregional Trauer und Entsetzen ausgelöst. Äußerungen der Leitung der Waldbachschule lassen erahnen, wie tief der Schock immer noch sitzt. Der Prozessbeginn beschäftige die Schulgemeinschaft sehr, hieß es. «Die Sensibilität ist äußerst hoch», berichtete die Leitung, wie das verantwortliche Regierungspräsidium Freiburg auf dpa-Anfrage mitteilte. «Lehrkräfte und Schulsozialarbeit versuchen, die Gefühle, Erinnerungen und Ängste der Schülerinnen und Schüler mit Gesprächen zu reflektieren und aufzufangen.» Seit der Gewalttat werden Schüler und Lehrer der sonderpädagogischen Schule psychologisch betreut.
Der Verdächtige, ein Deutscher, hatte den Ermittlungen zufolge 41 Schuss Munition dabei. Die Waffe für die Tat stammte aus dem Haushalt der Eltern. Zudem soll der Jugendliche versucht haben, im Klassenzimmer und danach im Treppenhaus einen Brandsatz zu zünden, was aber nicht gelang.
Mann überwältigte mutmaßlichen Angreifer am Tatort
Ein Vater, der sich während der Gewalttat zu einem Elterngespräch in der Schule aufhielt, schritt damals in einer Situation ein, die von Angst und Entsetzen geprägt war. Später wurde Sabah Tamer Ayoub für seinen heldenhaften Einsatz ausgezeichnet. Ayoub forderte nach eigenen Angaben den 15-Jährigen auf, die Waffe auf den Boden zu legen. «Ich wollte etwas tun, bevor er rausgeht.» Er überwältigte den mutmaßlichen Todesschützen und hielt ihn etwa fünf Minuten bis zum Eintreffen der Polizei auf dem Boden fest. Ayoub sagte, er habe den Eindruck gehabt, der Jugendliche wolle «noch etwas anderes machen».
Zum Prozess sind unter anderen Zeugen und ein psychiatrischer Sachverständiger geladen. Besucher und Medienvertreter sind wegen des Jugendschutzes nicht zugelassen. Das Landgericht will erst zu «gegebener Zeit» über den Ausgang des Verfahrens berichten.
Im Falle einer Verurteilung droht dem 15-Jährigen laut Staatsanwaltschaft eine Jugendstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren. In Deutschland sind Jugendliche ab 14 Jahren strafmündig.
Ermittlungen auch gegen die Eltern
Nicht abgeschlossen sind bisher die Ermittlungen gegen die Eltern des mutmaßlichen Täters. Dabei geht es um den Verdacht der fahrlässigen Tötung und um mutmaßliche Verstöße gegen das Waffengesetz, wie die Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte.
Gewalt an Schulen ist auch im Südwesten ein Dauerthema. Es gab im vergangenen Jahr über 2800 Opfer, ganz überwiegend waren es Schüler, aber auch über 140 Lehrkräfte, wie das Landesinnenministerium unlängst berichtete. Die Zahl der Fälle stieg im Vorjahresvergleich um fast 14 Prozent.
Ende Januar erschütterte ein tödlicher Messerangriff auf eine Schülerin die Gemeinde St. Leon-Rot in der Nähe von Heidelberg. Ein damals 18 Jahre alter Schüler steht im Verdacht, das gleichaltrige Opfer mit einem Messer umgebracht zu haben. Er wurde einige Stunden nach der Tat in Niedersachsen festgenommen.
Zahl minderjähriger Straftäter steigt
Bundesweit gibt es den besorgniserregenden Trend, dass die Zahl der minderjährigen Straftäter weiter zunimmt. Im vorvergangenen Jahr gehörten 13,4 Prozent aller Tatverdächtigen zur Gruppe der Kinder und Jugendlichen. Ihr Anteil stieg der Kriminalstatistik zufolge im vergangenen Jahr auf 13,8 Prozent.
In Offenburg lautet die bittere Einsicht, dass sich auch bei bester Prävention Fälle wie der gewaltsame Angriff im vergangenen November nicht vermeiden lassen. «Kontrollen, wie sie etwa an Flughäfen durchgeführt werden, sind an Schulen nicht vorstellbar», resümierte die Leitung der Waldbachschule.