Hier also war es. Hier krachte der selbstgebaute Heißluftballon in einer mondhellen Septembernacht 1979 ins Gesträuch, nachdem hoch in der Luft das Gas ausgegangen war. An Bord waren zwei Familien aus der DDR, gesteuert von der Sehnsucht nach Freiheit.
«Wir wussten ja gar nichts über Ballonfahren», sagt der damalige Flüchtling Günter Wetzel. Im oberfränkischen Dreigrün, unweit von Naila, ist der 69-Jährige an jene Stelle zurückgekehrt, die eine Litfaßsäule mit Infos zur weltbekannten Ballonflucht markiert.
Auf die Frage, ob sich seine Träume in der neuen Heimat erfüllten, fragt er nüchtern zurück: «Was heißt Träume? Das wird.» So dachte Wetzel, der auf Kfz-Mechaniker umschulte, seinerzeit. Im Disneyfilm «Mit dem Wind nach Westen» (1982) wurde er von US-Star Beau Bridges gespielt, im Michael «Bully» Herbig-Streifen «Ballon» (2018) von David Kross.
Eigentlich müsste er mit der Vermarktung seiner Story Millionär geworden sein. «Wir waren dumme Ossis», bemerkt er dazu lapidar. Ist die deutsche Teilung überwunden? «Na klar, es ist toll, wie sich das entwickelt hat.» Wetzel fügt aber an: «Das Ost-West-Denken wird immer weniger, aber das dauert noch eine Weile.»
1250 Kilometer in dreieinhalb Wochen
Dort, wo vor Jahrzehnten der Todesstreifen an der deutsch-deutschen Grenze verlief, lockt zwischen dem sächsisch-bayerischen Vogtland und der Ostsee nun das «Grüne Band» Ausflügler an: ein Miteinander aus Wäldern, Moor-, Fluss-, Heide- und Mittelgebirgslandschaften. Höchster Punkt ist der Brocken.
Wander-Journalist Thorsten Hoyer ist den größten Teil des langen Grünstreifens abmarschiert: 1250 Kilometer in dreieinhalb Wochen. Das empfiehlt der 55-Jährige allerdings nicht zur Nachahmung: «Es geht zu 70 Prozent über Beton und Asphalt.» Die Natur hat sich das Terrain zurückerobert, aber nicht komplett.
Der Verlauf lehnt sich an den Kolonnenweg auf der Ostseite an, wo die DDR-Grenzer über Lochplatten patrouillierten. Heute wuchert im verwitterungsbeständig angelegten Weg allerorten Grünzeug. Ausbaufähig dagegen ist die touristische Infrastruktur. So mangelt es an durchgehender Beschilderung.
Empfehlenswert für Radlerinnen oder Wanderer sind daher punktuelle Entdeckungen - so wie im Frankenwald. Dort, wo sich Bayern und Thüringen treffen.
Kein Platz mehr für regimetreue Genossen
Die Saale, damals Grenzfluss, strömt gemächlich dahin und staut sich bei Hirschberg zu einer glatten Fläche auf. Bäume und Büsche nehmen ihre Spiegelbäder. Kanuten rauschen über ein Wehr. Wer über den Kolonnenweg radelt, muss höllisch aufpassen bei den breiten Vertiefungen im Beton.
Auf einem Forstpfad und dem Sträßchen nach Mödlareuth entspannt sich die Lage. «Klein Berlin» nannten die Amerikaner das Dorf. Mödlareuth war geteilt, durchzogen von einer Mauer. Das dortige Deutsch-Deutsche Museum versteht sich als Gedenkstätte zur deutschen Teilung. Ein Mauerstück, Wachtürme und Stacheldrahtzäune bewahren die schmerzliche Erinnerungskultur.
Britt Hornig, die das Museumsgelände gerade durchstreift, ist tief berührt und aufgewühlt. Die 55-Jährige aus Eilenburg in Sachsen, die damals als Kinderkrankenschwester arbeitete, sagt: «So etwas darf es nicht wieder geben. Das war meine Kindheit, meine Jugend. Das war absoluter Wahnsinn, was die mit uns gemacht haben.» Und weiter: «Jede Woche fuhr ich nach Leipzig zur Demonstration und habe für die Freiheit gekämpft, bis die Mauer fiel.»
Otto Oeder, ehemals Grenzpolizist und heute 79 Jahre alt, ist ebenfalls ein Zeitzeuge. «Ich dachte, da hört die Welt auf», beschreibt er sein Einsatzgebiet am Eisernen Vorhang auf bayerischer Seite. In seinem selbstverlegten Buch erinnert er sich an Flüchtlinge, die es geschafft hatten: «Auf unserer Polizeistation kleideten wir sie zuerst mal mit trockener Kleidung ein, von uns gespendet, nicht vom Staat bezahlt.» Oeder organisiert den «Grenzerstammtisch», wo regelmäßig Anekdoten wieder aufleben. Für regimetreue Genossen von früher ist kein Platz.
Wandern durch die Vergangenheit
Frankenwald-Steigla - so heißt ein Netzwerk aus Rundwanderwegen im Frankenwald, von denen drei die deutsch-deutsche Vergangenheit veranschaulichen. Der Wetzsteinmacher-Weg, 5,3 Kilometer lang und mit Start unterhalb der Burg Lauenstein, führt hinauf zur Thüringer Warte. Der Aussichtsturm auf dem Gipfel des Ratzenbergs ist ein fantastischer Thron über dem «Grünen Band». Nach 117 Stufen schweift der Blicke über die Wälder des thüringisch-fränkischen Schiefergebirges.
Weitere Steigla sind der anspruchsvolle Grenzer-Weg - 16,8 Kilometer ab Carlsgrün - und der moderate, erst kürzlich eingeweihte Zehn-Kilometer-Trail Grünes Band, der in Mitwitz beginnt. Unterwegs plätschert ein Bachlauf, hallen Kuckucksrufe durch den Wald. Tannenmeisen zwitschern. Tautropfen liegen wie funkelnde Perlen auf Grashalmen. Libellen tanzen in der Sonne. Eine friedliche Stimmung. So, als wäre nie etwas gewesen.
Tipps, Links, Praktisches:
Anreise: Von Berlin nach Hirschberg fährt man mit dem Auto rund dreieinhalb Stunden, etwa genauso lang ab Frankfurt (Main). Von Nürnberg ist man anderthalb unterwegs, ab Dresden rund zwei Stunden. Von Hirschberg nach Mödlareuth sind es rund fünf, nach Naila 14 Kilometer. Mitwitz liegt eine Autostunde von Hirschberg entfernt.
Wandern: Infos zu den erwähnten Wanderwegen sowie dortigen Gaststätten und Unterkünften finden sich unter www.frankenwald-tourismus.de
Museum: Das «Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth - Gedenkstätte zur deutschen Teilung» hat dienstags bis sonntags geöffnet; Eintritt: vier Euro, ermäßigt drei Euro. (https://www.moedlareuth.de)
Infos zum «Grünen Band»: beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) unter www.bund.net/gruenes-band
Social Media: www.instagram.com/derfrankenwald/