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Am Beispiel des Spessart: Auf dem Pfad der Achtsamkeit

Stress und Schnelllebigkeit bestimmen den Alltag, viele Menschen wünschen sich, mal auf den Off-Knopf zu drücken. Da hakt das Tourismusmarketing ein - und nimmt uns zum Runterkommen mit in die Natur.
Wegzeichen Pfad der Achtsamkeit
Talgrund des Sellbachs auf dem Pfad der Achtsamkeit
Sellbach am Pfad der Achtsamkeit
Entspannung auf dem Pfad der Achtsamkeit
Pusteblume
Unterwegs auf dem Pfad der Achtsamkeit
Sonnenstrahlen fallen durch die Blätter eines Baums
Qigong-Übung auf dem Pfad der Achtsamkeit
Gina Gehrig-Spanlang
Qigong-Lehrer Alexander Schell
Petra Werthmann

Stadtprozelten (dpa/tmn) - Ortsrand Stadtprozelten, Südspessart. Der Wanderparkplatz Dreikreuzweg liegt in einem Talgrund am Wald. Kein Haus in Sicht, kein Motorengeräusch. Dafür hallen Kuckucksrufe heran, und im Hintergrund gluckst der Sellbach. Das ist der richtige Sound, um sich gleich tief im Einklang mit der Natur zu fühlen.

Eine Tafel am Parkplatz besagt: Hier startet der «Pfad der Achtsamkeit», 4,5 Kilometer lang, unterlegt mit acht Stationen in Form von sogenannten Impulstafeln.

Gina Gehrig-Spanlang, Tourismus-Verantwortliche in Stadtprozelten, hat mitgeholfen bei der Ausweisung des Pfads. Ihre Kollegin Petra Werthmann, Heimatbotschafterin Stadtprozeltens, gibt als Anleitung auf den Weg: «Das Handy ausschalten, am besten ohne Armbanduhr losgehen. Man muss es einfach fließen lassen.»

Ganz so leicht ist das nicht, wie Gehrig-Spanlang selbstkritisch anmerkt: «Es gibt keinen Schalter, um die Gedanken zu stoppen. Man muss die geistige To-do-Liste zu Hause lassen und nicht schon wieder das Nächste planen.» Zum Beispiel mal nicht daran denken, ob das Auto nicht endlich mal zum Tüv müsste.

Das bewusste Gegenteil von instagrammable

«Schlendern» heißt die erste Impulsstation. Die Tafel inspiriert, einen Gang zurückzuschalten: «Durch absichtsloses Schlendern können Sie leicht Abstand zu Ihrem Alltag gewinnen.» Von Entschleunigung ist die Rede, dass diese die Sinne schärfe, der Augenblick in der Natur lasse sich bewusster wahrnehmen. Wir probieren es aus.

Erscheint da vermeintlich Altbekanntes tatsächlich in neuem Licht? Morgentau funkelt wie Perlen. Die Sonne setzt Blattmaserungen in Szene. Ein Käfer klettert an einem Blatt hoch. Wann hat man je die plüschigen, filigranen Kronen von Pusteblumen in Ruhe betrachtet?

Eigentlich ist der «Pfad der Achtsamkeit» ein landläufiger Wald- und Wanderweg. Der Anstoß besteht darin, sich zu sensibilisieren. «Es muss nicht immer alles noch größer, noch toller sein. Unser Ziel war es nicht, einen Instagram-tauglichen Pfad zu schaffen, ganz im Gegenteil», so Gehrig-Spanlang. 

«Werde wieder wie ein staunendes Kind, das die Welt entdeckt», gibt ein Sinnspruch aus Tibet auf der ersten Tafel mit auf den Weg. Plötzlich fasziniert jedes Kleeblatt, jedes Gänseblümchen, jeder Zapfen auf dem Boden.

Langsames Bewegen als Schlüssel zum Abschalten

Die zweite Station «Bewusstes Atmen» hält zu Atemübungen an und dazu, sich im Alltag Atempausen zu gönnen. Daheim stellt sich Petra Werthmann gerne ans offene Fenster und atmet in den Bauch. Hier und jetzt fließt der glasklare Sellbach, über den sich zwei winzige Übergänge legen. Ein Picknickareal lädt zur Rast ein, ein weicher Wiesengrund zum Barfußlaufen.

Alexander Schell, Qigong-Lehrer im hiesigen Landkreis Miltenberg, der die Wanderung begleitet, empfiehlt: «Einfach dem Bachplätschern lauschen und ob man dabei Veränderungen wahrnimmt. Eigentlich hört es sich ja gleich an.»

Qigong, eine alte Meditations- und Behandlungstechnik der traditionellen chinesischen Medizin, hat bei der Ausweisung des «Pfads der Achtsamkeit» eine wichtige Rolle gespielt. «Bei den Übungen wird man geerdet, die Gedanken sollen wegsteuern vom Alltag», so Gehrig-Spanlang. 

«Überall steht, wir sollen loslassen. Aber niemand weiß, wie das geht», ergänzt Schell. Spannungen könnten gelöst werden, indem man unterwegs einfach mal geräuschvoll ausatme. Und «das Trübe» lasse sich mittels «Lichtdusche» aus dem Körper befördern: stabil hinstellen, Schultern hängen lassen, die Schwerkraft bis in die Hände fühlen, diese dann langsam nach oben führen, um helles Licht zu holen, das den Körper nach unten durchströmt. Um grundsätzlich mal loslassen zu können, rät er zu langsamem Bewegen.

Jetzt die Hände reiben

Umso schlüssiger kommen einem weitere Stationen vor: «Achtsames Gehen» oder «Sanfte Bewegung» steht auf weiteren Tafeln oder zum Finale auf dem letzten Schild auf diesem Achtsamkeitspfad im Spessart: «Das innere Lächeln», das zu einer Ruheübung animiert:

Sich im Wald einfach mal auf ein Holzbänkchen setzen, die Augen schließen, das Lächeln gedanklich im Körper ausbreiten, die Aufmerksamkeit ins Herz lenken. Der Impuls endet einem Qigong-typischen Tipp: «Bevor Sie die Augen öffnen, reiben Sie die Hände kräftig aneinander und streichen sich sanft übers Gesicht. Lächeln Sie einfach weiter, denn alles, was wir aussenden, kommt zu uns zurück!»

Nun könnte man einwerfen, dass sich doch eigentlich jeder Spaziergang durch die Natur in einen persönlichen Gang der Achtsamkeit verwandeln ließe. Doch Gehrig-Spanlang sieht das anders: «Man tut sich leichter, wenn man angeleitet wird.»

Fakt ist: Das Tourismusmarketing hat einen Trend ausgemacht. Laut Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SWD) entstehen bundesweit immer mehr Achtsamkeits- und Besinnungspfade. Der «Pfad der Achtsamkeit» bei Stadtprozelten ist nur einer davon.

Links, Tipps, Praktisches:

Reiseziel: Stadtprozelten ist eine Kleinstadt im Südspessart in Bayern im Bezirk Unterfranken.

Anreise: Erreichbar ist Stadtprozelten zum Beispiel mit der Maintalbahn von Aschaffenburg aus, wo ICE-Züge der Deutschen Bahn halten. Mit dem Auto ist man ab Berlin rund sechs Stunden unterwegs, ab München unter vier. 

Unterkunft: Das örtliche Tourismusbüro listet auf der Website der Stadtverwaltung Hotels und Pensionen (https://dpaq.de/um0foy7).

Weitere Auskünfte: zum Pfad bei Stadtprozelten unter https://dpaq.de/bQSIBOe; über das Phänomen der Achtsamkeitspfade bei der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald unter https://dpaq.de/aVONPYv

 

 

 

© dpa ⁄ Andreas Drouve, dpa
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