Die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erwartet Verständnis der Menschen bei der Aufrüstung mit weitreichenden US-Waffen in Deutschland. Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Vize-Kanzler Robert Habeck (Grüne) vertrauen auf die Einsicht, dass von Russland eine ernste Bedrohung ausgehe und darauf reagiert werden müsse.
Am Rande des Nato-Gipfels in Washington war bekannt geworden, dass die USA von 2026 an in Deutschland wieder Waffensysteme stationieren wollen, die weit bis nach Russland reichen.
Darunter sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von bis zu 2500 Kilometern sein, die technisch gesehen auch nuklear bestückt sein können, sowie Luftabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Hyperschallwaffen. Russland und China reagierten erbost auf die Ankündigung.
Scholz: Unglaubliche Aufrüstung in Russland
«Wir wissen, dass es eine unglaubliche Aufrüstung in Russland gegeben hat, mit Waffen, die europäisches Territorium bedrohen», sagte Scholz am Rande des Gipfels in Washington.
Zur Frage, ob er mit größerem Widerstand gegen die Rückkehr solcher weitreichenden Waffen auch aus seiner eigenen Partei rechne, sagte Scholz: «Diese Entscheidung ist lange vorbereitet und für alle, die sich mit Sicherheits- und Friedenspolitik beschäftigen, keine wirkliche Überraschung.»
Die Entscheidung lässt Erinnerungen an den Kalten Krieg wach werden. Scholz hatte Anfang der 80er Jahre selbst als junger Sozialdemokrat gegen den Nato-Doppelbeschluss protestiert, der unter anderem die Stationierung von Mittelstrecken-Raketen vom Typ Pershing II vorsah, die nach dem Ende des Kalten Krieges bis 1991 wieder abgezogen wurden.
Habeck: Naivität verbietet sich
Habeck betonte: «Wir müssen die Wehrhaftigkeit steigern, weil wir in einer sehr bedrohlichen Zeit leben, die anders ist als in den 80er Jahren. Deshalb verbietet sich Naivität.» Bei den Demonstrationen gegen die Nato-Doppelbeschlüsse 1981 habe Kalter Krieg geherrscht. «Jetzt erleben wir in der Ukraine einen heißen Krieg, weil dort geschossen und gestorben wird», sagte der Vizekanzler der «Neue Westfälischen».
Pistorius: Kein neues Wettrüsten
In den ARD-«Tagesthemen» sagte Pistorius, von einem neuen Wettrüsten könne keine Rede sein. «Russland hat diese Waffensysteme schon seit längerem unter anderem - wie wir vermuten - in Kaliningrad stationiert, das heißt in absoluter Reichweite zu Deutschland und anderen europäischen Nationen, so Pistorius. Er würde bei den kritischen Stimmen nicht von einer Mehrheit der Bevölkerung sprechen.
Heusgen: Viele in der Regierung unterschätzen Gefahr
Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, kritisiert den Großteil der Bundesregierung von Kanzler Scholz für ihre Kommunikation zum Ukraine-Krieg. «In Deutschland redet der Verteidigungsminister Tacheles und spricht davon, dass wir kriegstüchtig werden müssen», sagte der frühere außenpolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der Deutschen Presse-Agentur in Washington. Dessen Kabinettskollegen unterschätzten aber immer noch den Ernst der Lage.
Moskau: Nato-Pläne «Kettenglied im Eskalationskurs»
Zu der geplanten Stationierung fand man in Moskau deutliche Worte. Die russische Sicherheit werde durch die US-Waffen beeinträchtigt, sagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow der staatlichen Nachrichtenagentur Tass zufolge. Es handle sich um «ein Kettenglied im Eskalationskurs» der Nato und der USA gegenüber Russland.
«Wir sind auf dem besten Weg zu einem Kalten Krieg. Das alles gab es schon einmal», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow dem russischen Staatsfernsehen. Er warf Deutschland, den USA, Frankreich und Großbritannien vor, direkt in den Konflikt um die Ukraine verwickelt zu sein. «Und alle Merkmale des Kalten Krieges kehren zurück - mit Konfrontation, mit direkter Auseinandersetzung zwischen Gegnern.»
Russland überarbeitet Atomdoktrin
Die Nato-Beschlüsse zur Ukraine nannte der Kreml eine Bedrohung der eigenen Sicherheit. Die Entscheidung, die Ukraine früher oder später in die Allianz aufzunehmen, verdeutliche das Hauptziel des Bündnisses, Russland kleinzuhalten, sagte Peskow. Er bestätigte, dass an Veränderungen der Atomdoktrin gearbeitet werde. Das bisherige Leitprinzip lautet, dass Russland Atomwaffen nur als Reaktion auf einen Atomangriff oder eine existenzielle Gefahr für das Land bei einem konventionellen Angriff einsetzen darf.