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Bericht: 110 Behörden-Vorgänge zu Taleb A.

Warum hielten die Behörden den Attentäter von Magdeburg nicht auf? Der Weihnachtsmarkt wurde zum Schauplatz einer Bluttat - obwohl es Hinweise in bisher unbekannter Zahl auf Attentäter Taleb A. gab.
Todesfahrt auf Weihnachtsmarkt in Magdeburg
Innenausschuss des Bundestags zu Magdeburg

Die Abgeordneten kannten schon eine ganze Menge - aber so viel dann doch nicht: Ganze 110 Mal hatten sich Deutschlands Sicherheitsbehörden vor dem Terrorakt von Magdeburg mit dem späteren Täter befasst. Dass Taleb A. den einschlägigen Behörden des Bundes und mehrerer Länder kein Unbekannter war, ist schon spätestens seit der vorherigen Sitzung des Innenausschusses des Bundestags bekannt. 

Doch knapp vier Wochen nach der Todesfahrt von Magdeburg wird nun immer klarer, wie kontinuierlich die zuständigen Stellen über Jahre mit dem späteren Attentäter befasst waren. Auf 16 klein bedruckten Seiten listet eine Chronologie («Stand: 13.01.2025, 18:00 Uhr») insgesamt 110 Vorfälle auf. 

Behörden öfter mit Taleb A. befasst als bisher bekannt

Der Bericht stammt vom Bundesinnenministerium und beruht auf Daten, die Bundesbehörden und -länder dem Bundeskriminalamt (BKA) übermittelt hatten. Die akribische Feinarbeit ist ausdrücklich eingestuft als «Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch» und liegt der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Berlin vor. Der «Spiegel» berichtete zuerst in seiner Online-Ausgabe darüber.

Der Bericht zeigt, dass die Zahl der mitgeteilten Behörden-Vorgänge rund um Taleb A. vor dessen Attentat auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt deutlich höher liegt als bislang bekannt. Von 80 Vorfällen war nach der Sitzung des Innenausschusses des Bundestags Ende Dezember die Rede. Jetzt sind es 30 mehr. Aufklärung erwarteten die Fraktionen aller im Bundestag vertretenen Parteien von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und den Behördenspitzen. Sie waren am Donnerstagmittag erneut in das Gremium gekommen.

Saudi-Arabien warnte schon 2023

Das in Tabellenform erstellte Ministeriumspapier zeigt etwa, dass Saudi-Arabiens Behörden am 27. November 2023 das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) anschrieben. Die Saudis meldeten ein Posting von Taleb A. auf seinem X-Account. «Something big will happen in Germany», schrieb der spätere Attentäter - etwas Großes werde in Deutschland passieren. Die deutschen Behörden - an Postings solcher Art gewöhnt - bewerteten Taleb A.s Nachricht als «unspezifischen Gefährdungssachverhalt mangels konkreter Hinweise» und baten um konkrete Anhaltspunkte, so solche vorliegen sollten.

Steinmeier in Magdeburg

Taleb A.s Tat vom Dezember vergangenen Jahres forderte sechs Tote und rund 300 Verletzte. In Magdeburg hat sie tiefe Wunden hinterlassen. Auch dort stehen die Ereignisse vom 20. Dezember 2024 im Fokus der Öffentlichkeit. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist zu Besuch. Bei seinem Besuch wollte das Staatsoberhaupt unter anderem einen Kranz niederlegen und mit Hilfs- und Einsatzkräften sprechen.

Neue Post von den Saudis

Der Bericht des Bundesinnenministeriums zeigt auch, wie es mit dem «unspezifischen Gefährdungssachverhalt» um Taleb A. weiterging. Zwei Monate vor dem grausamen Anschlag des Psychiaters erhielten Deutschlands Verfassungsschützer wieder Post von den Saudis - so steht es in den lachsfarbenen Kästchen der Chronologie. Diesmal beließen sie es bei einem Erinnerungsschreiben, ausdrücklich erinnerten sie an ihre Mitteilung vom 27. November 2023. Der Bericht merkt an: «Keine neuen Inhalte, lediglich Verweis auf Bezugsschreiben und Bitte um Zusendung von Informationen zu ergriffenen Maßnahmen». 

«Das Schreiben wurde im BND bearbeitet»

Im nächsten Kästchen der chronologischen Tabelle steht, was dann geschah. Es ist der vorletzte Eintrag. Seine Farbe: gelb. Gelb steht für Sachbearbeitung durch den BND. Dorthin hatte das BfV die saudischen Infos übermittelt. Das Erinnerungsschreiben geht also beim BND ein. «Das Schreiben wurde im BND bearbeitet.» Mehr Aufschluss gibt der Eintrag nicht.

Sechs Länder und der Bund waren mit Taleb A. befasst

Insgesamt zeigt der Bericht mit den vom BKA gesammelten Informationen, dass in mindestens sechs Bundesländern und im Bund Behörden mit Taleb A. beschäftigt waren. Das waren neben Sachsen-Anhalt auch Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hamburg und Bayern. Hinweise auf mögliche Straftaten kamen auch aus Großbritannien und Kuwait. Mehr als ein Dutzend Ermittlungsverfahren liefen in den Jahren vor dem Anschlag gegen ihn in Deutschland, die meistens eingestellt wurden. 

Der Täter passe in kein gängiges Raster, hatte Faeser nach der Sitzung am Tag vor Silvester festgestellt. Expertinnen und Experten für Saudi-Arabien und Migration haben die Hintergründe analysiert. So rührt bei Taleb A. der Hass auf Deutschland vom Hass auf sein Heimatland her. Beschrieben wird er als Anhänger von Verschwörungsbehauptungen über eine «Islamisierung» der Bundesrepublik, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betrieben habe. 

«Eher mehr als weniger Fragen»

Mit zuständig für die Kontrolle der Innenbehörden ist über Jahre schon unter anderem Konstantin von Notz. Nun sagt der Grünen-Abgeordnete der Deutschen Presse-Agentur: «Die Aufklärung des schlimmen Anschlags von Magdeburg steht noch ganz am Anfang.» Erneut träten offen «sicherheitspolitische Defizite» zutage. Die Aufklärung in dem Fall sei auch deshalb wichtig, um diese schnellstmöglich abzustellen. 

«Nach Vorlage der Chronologie haben wir eher mehr als weniger Fragen», sagt von Notz. Dass sich ein Untersuchungsausschuss mit den auf Landesebene stellenden Fragen beschäftigen werde, begrüßte der Politiker. Auch vom Bund forderte der Grünen-Vertreter Aufklärung etwa zur Frage, welche Mängel am 
Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarktes bestanden und warum das Konzept nicht voll umgesetzt worden sei. «Genauso muss aber das Zusammenspiel der 
zahlreichen beteiligten Sicherheitsbehörden auf Landes- und Bundesebene 
aufgeklärt werden. Dies gilt auch und gerade für die Rolle der 
Nachrichtendienste.»

Defizite lange bekannt

Zentrale Frage für von Notz: «Warum die Gefährlichkeit des Täters nach heutigem Stand nicht erkannt wurde – trotz zahlreicher Hinweise». Die nahende Bundestagswahl, so mahnt der Abgeordnete der rot-grünen Minderheitsregierung keine sechs Wochen vor der Neuwahl, dürfte nicht dazu
führen, dass die zahlreichen bisher unbeantworteten Fragen aufgeschoben oder nicht mehr beantwortet würden. Bekannt seien die Defizite «teils seit Jahren».

© dpa ⁄ Basil Wegener, dpa
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