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UN-Chef besorgt über explosive Lage im Westjordanland

Israels Militär geht im Westjordanland gegen militante Palästinenser vor. Der UN-Generalsekretär ruft zu «größtmöglicher Zurückhaltung» auf. EU-Chefdiplomat Borrell hat einen brisanten Vorschlag.
António Guterres
Josep Borrell
Konflikte im Westjordanland

UN-Generalsekretär António Guterres hat sich zutiefst besorgt über die explosive Lage im Westjordanland und Israels großangelegten Militäreinsatz in dem besetzten Gebiet gezeigt. «Er verurteilt auf das Schärfste den Verlust von Menschenleben, darunter auch von Kindern», erklärte sein Sprecher Stéphane Dujarric. Guterres fordere die sofortige Beendigung der Einsätze. 

Ein israelischer Armeesprecher begründete das Vorgehen, bei dem nach palästinensischen Angaben bisher mindestens zehn Menschen getötet wurden, mit der deutlich gestiegenen Anzahl von Anschlägen auf Israelis. Zugleich hat auch die Gewalt extremistischer israelischer Siedler im Westjordanland zugenommen.

EU-Chefdiplomat legt Vorschlag für Israel-Sanktionen vor

Wegen Aufstachelung zu Hass und Menschenrechtsverletzungen hat der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den Regierungen der 27 EU-Staaten einen Vorschlag für Sanktionen gegen Israels rechtsextremen Finanzminister Bezalel Smotrich und den ebenfalls rechtsextremen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir unterbreitet, wie mehrere EU-Beamte der Deutschen Presse-Agentur kurz vor einem heutigen EU-Außenministertreffen bestätigten. Die beiden israelischen Regierungsmitglieder sind Verfechter der aus Sicht des höchsten UN-Gerichts illegalen Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten im Westjordanland. Ob und wenn ja, wann der Vorschlag von Borrell umgesetzt wird, ist allerdings noch unklar.

Die US-Regierung verhängt derweil wegen der extremistischen Siedlergewalt weitere Sanktionen, diesmal gegen die israelische Nichtregierungsorganisation Haschomer Josch. Ende Januar seien die Bewohner des palästinensischen Beduinen-Dorfs Chirbet Zanuta bei Hebron dazu gezwungen worden, den Ort zu verlassen, teilte das US-Außenministerium mit. Freiwillige der NGO hätten das Dorf daraufhin umzäunt und die Rückkehr der Bewohner verhindert. Die USA haben schon mehrfach Siedler im Westjordanland sanktioniert.

«Extremistische Siedlergewalt im Westjordanland verursacht großes menschliches Leid, schadet der Sicherheit Israels und untergräbt die Aussichten auf Frieden und Stabilität in der Region», teilte das Ministerium mit. «Israel betrachtet die Verhängung von Sanktionen gegen israelische Bürger mit größter Ernsthaftigkeit», teilte das Büro des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu mit. Die Angelegenheit werde mit den USA diskutiert.

Israels Armee: Einsatz gilt Terrornetzwerk

Nach israelischer Darstellung ist Ziel des großangelegten Einsatzes im Westjordanland - vor allem in Dschenin und Tulkarem - ein vom Iran unterstütztes Terrornetzwerk. Beide Städte gelten als Hochburgen militanter Palästinenser. Seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast elf Monaten seien allein von dort aus rund 150 Anschläge mit Schusswaffen und Sprengsätzen auf Israelis verübt worden, so ein Militärsprecher. Die Unruhen sowie die zugleich zunehmende Gewalt israelischer Siedler gegen Palästinenser drohten das Westjordanland zu einem weiteren großen Kampfschauplatz zu machen, schrieb das «Wall Street Journal» - neben dem Gaza-Krieg und den Konfrontationen Israels mit der Hisbollah-Miliz im Libanon. 

«Es wird einen Siedepunkt erreichen», sagte ein Militäranalyst am Institut für nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv der US-Zeitung zur allgemeinen Situation im Westjordanland. Das israelische Militär und die Sicherheitsbehörden seien «sehr besorgt über das, was dort vor sich geht». Israels Außenminister Israel Katz meinte auf der Plattform X: «Wir müssen mit der Bedrohung genauso umgehen wie mit der Terror-Infrastruktur in Gaza, einschließlich der vorübergehenden Evakuierung palästinensischer Zivilisten.» Es sei «ein Krieg in jeder Hinsicht, und wir müssen dabei siegen». Ein Armeesprecher sagte, ihm sei zu möglichen Evakuierungsplänen der Zivilbevölkerung im nördlichen Westjordanland nichts bekannt.

Scholz: Spirale von Vergeltungsgewalt durchbrechen 

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war sich mit Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi am Telefon einig, dass es «jetzt mehr denn je darauf ankomme, die destruktive Spirale von Vergeltungsgewalt in der Region zu durchbrechen», wie Regierungssprecher Steffen Hebestreit in Berlin im Anschluss mitteilte. Beide hätten die Bedeutung eines Abkommens zur Freilassung der Geiseln und eines Waffenstillstands im Gazastreifen unterstrichen. Zudem seien sie sich einig in ihrer Ablehnung des illegalen Siedlungsbaus im Westjordanland und in ihrer «klaren Verurteilung extremistischer Siedlergewalt und jedweden Versuchs der Vertreibung von Menschen aus den palästinensischen Gebieten», teilte der Sprecher mit.

Israels Militäreinsatz im Westjordanland könnte nach Informationen der «Times of Israel» noch länger dauern. Er sei Quellen in der Armee zufolge auf mehrere Tage angelegt. UN-Generalsekretär Guterres fordere die Sicherheitskräfte auf, «größtmögliche Zurückhaltung zu üben und tödliche Gewalt nur dann anzuwenden, wenn dies zum Schutz von Menschenleben absolut unvermeidlich ist», erklärte sein Sprecher weiter. Letztlich könne nur ein «Ende der Besatzung und die Rückkehr zu einem sinnvollen politischen Prozess, der eine Zwei-Staaten-Lösung herbeiführt, ein Ende der Gewalt bringen», sagte der Sprecher von Guterres weiter.

Gaza-Verhandlungen sollen weitergehen

Unterdessen gehen die Kämpfe im Gazastreifen ebenso weiter wie die Bemühungen um eine Waffenruhe und Freilassung der verbliebenen Geiseln in der Gewalt der Hamas. Eine israelische Delegation sollte zu weiteren Gesprächen über ein Abkommen mit der Hamas in die katarische Hauptstadt Doha reisen. Die indirekten Verhandlungen, bei denen Katar sowie Ägypten und die USA zwischen den Konfliktparteien vermitteln, treten seit Monaten auf der Stelle. Israelische Einsatzkräfte haben unterdessen im Gazastreifen die Leiche eines israelischen Soldaten gefunden und zurück nach Israel gebracht. 

Der Mann sei bereits am 7. Oktober während des Massakers der Hamas im israelischen Grenzgebiet getötet worden, hieß es in einer Erklärung der Armee, des israelischen Geheimdienstes Schin Bet sowie der Polizei. Die Hamas hat jetzt nach israelischer Zählung noch 107 Geiseln in ihrer Gewalt. Mindestens ein Drittel davon gilt als tot. Das Massaker, bei dem Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen mehr als 1.200 Menschen töteten und mehr als 250 weitere nach Gaza verschleppten, war Auslöser des Krieges.

Bei Israels anschließender Offensive in dem abgeriegelten Küstenstreifen wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher mehr als 40.400 Menschen getötet. Die unabhängig nicht überprüfbare Zahl unterscheidet nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten.

© dpa
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