Einen geheime Luke in der Küche könnte Walter Proska vor der Rückkehr an die Ostfront bewahren. Der Wehrmachtssoldat ahnt, dass jetzt, im Sommer 1944, der Krieg ohnehin verloren ist. Seine Schwester bietet ihm das unterirdische Versteck auf dem Hof ihres Mannes an und drängt den Bruder zu bleiben. Doch der will seine Kameraden nicht im Stich lassen und bricht auf. Das Ziel erreicht er nicht: Sein Zug explodiert durch eine von polnischen Partisanen gelegte Mine. Fortan geht es für Proska ums Überleben.
Mit „Der Überläufer“ zeigt das Erste vor Ostern (8. und 10. April, 20.15 Uhr) einen epischen Zweiteiler mit Jungstar Jannis Niewöhner („Beat“) als willensstarker Titelfigur in Extremsituationen am Ende des Zweiten Weltkriegs: „Walter verliert nie das Gefühl dafür, etwas Falsches getan zu haben“, sagt der 27-Jährige. „Man kann sich ja schnell einreden, dass das schon richtig war. Er empfindet ganz stark das Gegenteil und ringt darum, in einem riesengroßen Chaos anständig zu bleiben.“ Dabei sitzt ihm der Tod ständig im Nacken.
Proska landet bei einem Trupp Soldaten, die vom Feind umzingelt im Sumpf festsitzen und von einem zynischen Unteroffizier (Rainer Bock) drangsaliert werden. Kann er der Partisanin Wanda (Małgorzata Mikołajczak), in die er sich verliebt, und dem Kameraden Kürschner (Sebastian Urzendowsky), dem er später als Überläufer zur Roten Armee folgt, trauen? Mit „Der Überläufer“ wurde der gleichnamige Roman von Siegfried Lenz verfilmt, der erst 2016 nach dem Tod des Autors veröffentlicht wurde und zum Bestseller avancierte.
Lenz war mit 19 als Seekadett kurz vor Ende des Kriegs selbst desertiert und hatte das Buch mit 25 im Jahr 1951 geschrieben. Doch das Manuskript lag jahrzehntelang im Keller: Noch zu Zeiten des Kalten Kriegs galten Überläufer als Kriegsverbrecher, die der Bundestag erst im Jahr 2009 endgültig rehabilitierte. „Den Mut zu haben, für seine moralischen Überzeugungen aufzustehen und zu sagen, dann bin ich eben der Sand im Getriebe – das fand ich interessant“, sagt Regisseur Florian Gallenberger. „Insofern ist der Überläufer, der Verräter in dem Fall die moralisch am höchsten stehende Figur.“
Der Oscar-Preisträger lernte, wie Hauptfigur Walter Proska, seine polnische Ehefrau im Zug kennen. „Zum Glück nicht genauso. Es war weder Krieg, noch wollte sie den Zug in die Luft sprengen, aber es gibt Anknüpfungspunkte“, sagt der 48-Jährige. Unter Zeitdruck verwirklichte er „Der Überläufer“ in nur drei Monaten im vergangenen Sommer in Polen.
Selbst für die Nebenrollen sagten Größen wie Bjarne Mädel, Ulrich Tukur und Florian Lukas zu. Rainer Bock war für den Dreh erstmals in Polen: „Ich hatte Hemmungen, dorthin zu fahren nach dem, was wir Deutschen der Bevölkerung angetan haben. Aber ich war überrascht, mit welcher Freundlichkeit man mir entgegenkam.“ Auch aus dem polnischen Team habe es positive Stimmen zur Auseinandersetzung der Deutschen mit der Vergangenheit gegeben.
Zeitloses Plädoyer für Menschlichkeit, bewegend inszeniert. Jannis Niewöhner überzeugt als Getriebener der menschenverachtenden Ideologien, der eigentlich nur sein persönliche Glück sucht.
In der ARD-Mediathek ist "Der Überläufer" bereits ab dem 1. April als Vierteiler abrufbar.