Am Ende seiner Triumphfahrt entlud sich bei Oliver Zeidler der große Druck der vergangenen Tage. Kaum hatte der Goldgewinner am Siegersteg angelegt, stürmte er im Laufschritt in die Arme seiner Freundin Sofia Meakin. Sowohl bei der minutenlangen innigen Umarmung mit der Schweizer Ruderin als auch bei der anschließenden Siegerehrung flossen beim neuen Einer-Olympiasieger Tränen. «Das war ein Rennen für die Ewigkeit. Ich habe es genossen. Und es ist wie im Traum vergangen», schwärmte Zeidler am Ende seines dominanten Rennens.
Scholz gratuliert
Das Duell der Weltelite wurde zu einer unerwartet deutlichen Machtdemonstration des Modellathleten, der mit Olympia-Gold in die Fußstapfen seines Großvaters tritt. Bereits zur Streckenhälfte schien die Konkurrenz weit abgehängt und zermürbt. Am Ende betrug der Vorsprung von Zeidler auf den Belarussen Jewgeni Solotoi und den Niederländer Simon van Dorp mehr als fünf Sekunden. «Nach 1000 Metern habe ich gemerkt, dass es heute mein Tag wird», kommentierte der Sieger.
Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz geriet ins Staunen. «Diese Leistung beeindruckt und begeistert mich - als leidenschaftlicher Ruderer ganz besonders», kommentierte der Politiker.
Dank Zeidler war die Medaillenbilanz der deutschen Ruderer mit einmal Gold und Bronze für den Frauen-Doppelvierer besser auch als vor drei Jahren in Tokio mit zweimal Silber. Nur wenige Sekunden nach der Zieldurchfahrt war die Erleichterung groß. Noch im Boot küsste Zeidler das von der Freundin geschenkte Armband.
Ein Armband als Glücksbringer
«Wir sind in einer Fernbeziehung und hatten vor Olympia eine sehr, sehr schwere Phase, weil wir uns über einen Monat gar nicht sehen konnten. Da haben wir uns das Armband gegeben, sodass wir trotzdem beieinander sind und die Zeit gemeinsam durchstehen», verriet der glückliche Zeidler. «Sofia macht mich einfach glücklich und hat mir die Leichtigkeit gegeben, die mir manchmal gefehlt hat.»
Diese Leichtigkeit half auch über die Nervenprobe kurz vor dem Start hinweg. Weil der spätere Silbermedaillen-Gewinner Solotoi aufgrund einer Buspanne erst verspätet aus dem Athletendorf zur Strecke gekommen war, wurde der Start um eine Stunde verschoben. Zeidler ertrug diese Verzögerung mit stoischer Ruhe: «Man könnte meinen, dass es auf die Psyche schlägt. Aber ich bin cool geblieben. Heute habe ich viel Nervenstärke bewiesen.»
Der Coup auf dem See im Stade Nautique rund 30 Kilometer östlich von Paris vertrieb den Frust über das bittere Halbfinal-Aus vor drei Jahren in Tokio. Damals hatte er ein Karriereende erwogen, sich aber nach reiflicher Überlegung für einen weiteren Anlauf entschieden. Das Tattoo mit den olympischen Ringen in seinem Nacken deutet an, wie groß die Sehnsucht nach einem Sieg in Paris 2024 war. «Das war heute die Vollendung. Ein perfekter Tag. Es ist ein bisschen surreal», befand Vater und Trainer Heino Zeidler.
Aus dem Wasser auf das Wasser
Rudern hat Tradition in der Familie Zeidler. Großvater Hans-Johann Färber gewann 1972 Olympiagold im Vierer, Onkel Matthias Ungemach wurde 1990 Weltmeister im Achter, Tante Judith Zeidler 1988 Olympiasiegerin im DDR-Achter.
Dass der einstige Leistungsschwimmer Oliver Zeidler 1996 aus dem Wasser auf das Wasser wechselte, verwunderte deshalb wenig. In erstaunlich kurzer Zeit stieß der 2,03 große Modellathlet in die Weltspitze vor. Diesen Aufstieg meisterte er zusammen mit seinem Vater zumeist als Autodidakt mit kritischer Distanz zum Deutschen Ruderverband (DRV). Die innige Umarmung mit seinem Vater am Ende der Einer-Show verriet mehr als tausend Worte.
Lust auf mehr
Anders als in Tokio verschwendet Zeidler diesmal keinen Gedanken an ein Karriereende: «Ich habe hier zwei Superrennen auf das Parkett gezaubert und den Zuschauern eine große Show geboten», sagte er mit Bezug auf das Halbfinale zwei Tage zuvor in olympischer Rekordzeit und dem erneuten Kraftakt im Endlauf. «Ich bin sehr, sehr happy, dass es ausgerechnet bei Olympia geklappt hat. Jetzt habe ich auf jeden Fall Lust auf mehr.»