Dass es vom Bett zum WM-Schießstand gerade mal 700 Meter zu Fuß sind, ist ganz nach dem Geschmack von Franziska Preuß. «Auf alle Fälle, das ist sehr effektiv», sagte Deutschlands beste Biathletin. Am Mittwoch trat die 30-Jährige den kurzen Rückweg aus der Roland Arena im schweizerischen Lenzerheide ins nahe Teamhotel mit Bronze im Gepäck an. Und wenn sie sich am Freitag (15.05 Uhr/ZDF und Eurosport) nach dem Sprint wieder in die Unterkunft begibt, soll am besten schon die nächste Medaille ihr gehören.
Deutsches Team schafft sich Wohlfühlatmosphäre
«Man kann einfach gehen, wenn man fertig ist, man muss nie warten», sagte Preuß zu den kurzen Wegen. Die Deutschen wählten eine Unterkunft sehr nah am WM-Stadion, können so auf Anreisen mit dem Auto verzichten und müssen höchstens zehn Minuten laufen. Mit zwei eigenen Köchen haben sie sich vor dem herrlichen Bergpanorama in 1400 Metern Höhe eine Wohlfühlatmosphäre geschaffen, die bei den noch elf ausstehenden WM-Entscheidungen beflügeln soll. «Es ist wirklich schön, einen guten Start zu haben. Ich hoffe, wir haben noch ein paar mehr gute Tage», sagt die im Gesamtweltcup Führende Preuß.
Vor allem auf sie blicken dieser Tage viele. Nach zehn Podestplätzen in 14 Saisonrennen, zwei Siegen im Einzel und zwei weiteren mit der Staffel sind die Erwartungen enorm. «Nach dem Rennen habe ich wirklich gespürt, wie der Druck von mir abgefallen ist», sagte Preuß, die ihre Freudentränen nicht zurückhalten konnte. Bronze mit der Mixedstaffel an der Seite von Selina Grotian, Philipp Nawrath und dem furios schießenden Schlussläufer Justus Strelow war genau der Auftakt, den sich das Team gewünscht hatte. «Die Medaille ordne ich schon sehr hoch ein», sagt Preuß.
Nächstes Ziel: «Noch ein paar Medaillen einsammeln»
Aber was ändert die erste Plakette in der Tasche nun? «Alles, was jetzt noch kommt, ist mit Sicherheit leichter, als die erste Medaille zu gewinnen», sagte Sportdirektor Felix Bitterling. Zuvor war es seit 2019 nicht gelungen, einen solch positiven Start zu schaffen. Im vergangenen Jahr gab es erst in der zweiten WM-Woche die erste von drei Medaillen. Entsprechend groß war jetzt die Erleichterung. «Alle Wettkämpfe, die jetzt noch kommen, gehen wir sicher mit einem anderen Mindset an», sagte Bitterling. Und der Sachse Strelow ergänzte: «Jetzt werden wir hoffentlich noch ein paar Medaillen einsammeln.»
Während das für die Männer im Sprint am Samstag im Kampf gegen die starken Norweger und Franzosen eine enorm schwere Aufgabe wird, sind bei den Frauen Preuß und womöglich auch die 20-jährige Grotian zwei aus dem Kreis derer, die es zu schlagen gilt. Für Deutschland gibt zudem die erst 19 Jahre alte Julia Tannheimer ihr WM-Debüt, den vierten Startplatz bekommt Sophia Schneider. Top-Favoritin ist die Französin Lou Jeanmonnot, die im Mixed schon Gold gewann, direkt dahinter ist aber Preuß einzuordnen.
Allerdings muss sie sich beim Schießen steigern. «Es passiert mal schnell ein Fehler, aber um in den Einzelrennen top zu sein, darf das nicht passieren», sagte Preuß nach zwei aus ihrer Sicht unnötigen Nachladern im Mixed. Besonders wichtig ist ein gutes Ergebnis auch, weil die Rückstände im Sprint auch die Rückstände im Verfolgungsrennen am Sonntag sind.
Vor zehn Jahren gewann Preuß ihre ersten WM-Medaillen
Vier Tage nach ihrem 21. Geburtstag hatte Preuß ihre bislang einzige Einzelmedaille bei einer WM gewonnen. Fast zehn Jahre nach Silber im Massenstart von Kontiolahti ist die Chance nun so groß wie lange nicht. Nach einer Operation an den Nasennebenhöhlen vor einem knappen Jahr ist sie endlich beschwerdefrei und aktuell in der Form ihres Lebens. Ebenfalls 2015 gewann Preuß in Finnland auch ihren bislang einzigen WM-Titel mit der Staffel. Das in Lenzerheide zu wiederholen, ist ebenfalls ein großes Ziel.
Ein Blick in die Statistik zeigt die Konstanz von Preuß - aber eben auch das oft fehlende Glück. Insgesamt 13 Top-Ten-Platzierungen in WM-Einzelrennen sind da zu finden, bei den Weltmeisterschaften 2020 in Antholz und 2021 auf der Pokljuka schaffte sie es bei allen acht Starts unter die Top Ten und war nie schlechter als Achte. Trotzdem hat sie erst eine Medaille gewonnen.
In der Schweiz wirkt Preuß fokussiert und bereit, es bei ihrer vielleicht letzten WM-Teilnahme ganz nach oben zu schaffen. Ohne große Krankheiten kam sie bislang durch den Winter, das hatte es in der Vergangenheit nur selten gegeben. An die harten Bedingungen in Lenzerheide hatte sie sich mit höheren Trainingsumfängen schon im Herbst gewöhnt, war selbst in die Schweiz und in den kommenden Olympia-Ort Antholz gereist, um eigenständig zu trainieren. Für diese Mühen will sie sich am besten am Freitag schon mit der so lange ersehnten Rückkehr auf das WM-Podest belohnen.