Angelique Kerbers aktuelle Rolle im Welt-Tennis zeigt sich auch an den Plänen der Wimbledon-Veranstalter. In einen der kleinen Medienräume schicken sie die Siegerin von 2018, dort spricht sie vor dem Turnierauftakt über ihre Rückschläge und ihre Rückkehr zum Ort ihres Triumphs.
Ein Stuhlkreis statt langer Sitzreihen vor ihr, kein fester Sitzplatz für die Hauptdarstellerin. Da war Kerber in ihren besten Tennis-Zeiten anderes gewohnt.
Wimbledon ist ihr drittes Grand-Slam-Turnier nach ihrem Comeback auf der Tour, auf der sie seit dem Jahreswechsel mit Töchterchen Liana unterwegs ist. Die vier Grand Slams sind die bedeutendsten Events im Tennis. Die Turniere, bei denen Sieg oder Niederlage erheblich mehr Beachtung finden als im Tennis-Alltag. Kerber flog zweimal in der ersten Runde raus.
Wird Putinzewa zum nächsten Stolperstein?
An der Londoner Church Road geht es am Dienstag für sie mit einer komplizierten Aufgabe gegen die Kasachin Julia Putinzewa los. Was, wenn es jetzt auch auf ihrem geliebten Rasen nicht mit einem Erfolg klappt? «Ich habe nichts zu verlieren. Ich bin jetzt hier, ich werde es genießen», sagte Kerber. «Ich bin jetzt nicht hektisch, also überhaupt nicht. Ich bin da schon eher entspannter und bleibe auch gelassen, weil ich weiß, was ich kann», betonte sie.
Nein, sagte die 36-Jährige, die Niederlagenserie angefangen mit dem Erstrunden-Aus bei den French Open auf Sand und mit dem Auftakt-Aus in Berlin und Bad Homburg auf Rasen ziehe sie nicht so runter. Sportliche Tiefs und Höhen begleiten sie schon lange. «Natürlich fehlt dieses Selbstvertrauen, um die Matches auch zu gewinnen», räumte die Kielerin aber ein. Selbstvertrauen, das auf Rasen bei kurzen, schnellen Ballwechseln und engen Momenten ganz besonders wichtig sein kann. Und die Matchpraxis fehlt.
Hilft die Erinnerung an schöne Wimbledon-Momente?
Verliert die ehemalige Weltranglisten-Erste nun schon wieder, werden die Zweifel, ob sie den Anschluss noch einmal schaffen kann, und Diskussionen darüber, wie lange sie noch spielt, zumindest nicht weniger. Die Hoffnung ist vage, dass der spezielle Ort ein Wendepunkt sein kann. «Es ist ein besonderes Gefühl nach all den Jahren, natürlich nach dem Titelgewinn und dem Finale, zurückzukommen. Ich habe so viele großartige Erinnerungen», sagte Kerber.
Diesmal startet sie als Nummer 221 der Welt mit einer Wildcard, die ihr die Organisatoren angesichts der vergangenen Erfolge gaben. Vor sechs Jahren holte sie hier ihren dritten und bisher letzten Grand-Slam-Titel. Hier trägt sie als Champion ein Abzeichen, das sie als Mitglied im All England Lawn Tennis and Croquet Club ausweist und das ihr lebenslang Zutritt garantiert. Hier stand sie 2016 im Finale, 2021 ein weiteres Mal wie 2012 im Halbfinale.
Ob die Wimbledon-Rückkehr hilft? «Ich hoffe. Ich weiß es nicht», räumte Kerber ein: «Ich habe hier schon so gute Matches gespielt, aber ich habe auch so viele Matches hier gespielt, die wehtaten. Natürlich überwiegen die schönen Momente und Emotionen, die ich hier hatte. Und ich hoffe, dass ich das auch wieder merke und auf dem Platz einfach umsetzen kann.»
Wimbledon hat für Kerber Priorität
So gering die Erwartungen bei den Australian Open an sie waren, war doch wenig Zeit nach dem Comeback vergangen. So klein die Hoffnungen bei den French Open waren, waren die für sie doch oft schwierig. Der Rasen sollte ihr Schwerpunkt im Comeback-Jahr werden.
Im Training mit Jule Niemeier wirkte sie fit und schnell auf den Beinen. Beobachtet von Mutter Beata und Lebensgefährte Franco Bianco bereitete sie sich mit Trainer Torben Beltz vor. «Sie ist immer noch sehr gefährlich. Vor allem auf Gras, weil sie sehr flache Bälle spielt», lobte die Weltranglisten-Dritte Aryna Sabalenka zuvor in Berlin. «Es ist schwierig, nach einer Schwangerschaft wieder auf Top-Niveau zu spielen. Es braucht Zeit. Vielleicht ist sie jetzt noch nicht wieder bei 100 Prozent, aber sie wird wieder dahin kommen.»
Das Selbstvertrauen, das Kerber fehlt, dürfte ihre kommende Gegnerin haben. Putinzewa sicherte sich gerade in Birmingham ihren ersten Titel. Ganz unglücklich mit der Auslosung war Kerber aber nicht. Immerhin sei die Kasachin keine Gegnerin, die sie mit ihrem Tempo «komplett weghackt». Und sie ist keine Linkshänderin, was ihr als Linkshänderin nicht liege.
«Ich hoffe, dass ich einfach hier irgendwie diesen Anschluss finde», sagte Kerber. Auf wen sie in der zweiten Runde treffen könne, sei doch «scheißegal», meinte sie: «Ich muss erst mal die erste Runde gewinnen.»