Julian Nagelsmann konnte, wenn er denn wollte, während des Nachtflugs nach Nürnberg in Ruhe die Augen schließen. Der Bundestrainer und seine Nationalspieler erreichten in den ganz frühen Morgenstunden das Teamquartier in Herzogenaurach mit der Gewissheit, inzwischen auch unter widrigen Umständen Spiele gewinnen zu können. Das 2:1 ohne fünf Leistungsträger in Bosnien-Herzegowina wird nicht für alle als Höhepunkt in die deutsche Fußballgeschichte eingehen. Es war aber ein weiterer Entwicklungsschritt.
Er sei «insgesamt schon zufrieden», sagte Nagelsmann im Wissen, dass bereits an diesem Montag (20.45 Uhr/ZDF) in München mit Erzrivale Niederlande ein deutlich stärkerer Gegner wartet. Etwas unzufriedener wirkte der Bundestrainer, als er verkünden musste, dass auch noch der Stuttgarter Chris Führich mit einer Muskelverletzung ausfällt. Nummer acht auf der langen Verletztenliste. Der Einsatz des Münchners Aleksandar Pavlovic ist wegen einer Knieprellung offen.
Das Ziel aber bleibt: Ein Sieg würde für Deutschland den vorzeitigen Einzug ins Viertelfinale der Nations League bedeuten. Es ist ein Etappenziel für den Bundestrainer, für das im baufälligen Stadion Bilino Polje mit erstaunlich reifer Leistung der Grundstein gelegt wurde.
Bestens aufgelegter Undav
Seine neuformierte DFB-Auswahl habe trotz der vielen Wechsel mit drei spät am Abend breit lächelnden Debütanten mit Geduld gespielt, sagte Nagelsmann.«Sehr dominant» sei die Phase gewesen, als Matchwinner Deniz Undav in seinem fünften Länderspiel seine Tore zwei und drei erzielte. «Wir haben drei Punkte geholt. Es war ein schöner Abend», sagte der Stuttgarter, der das Privatduell mit seinem VfB-Sturmpartner Edin Demirovic klar für sich entschied.
In Abwesenheit der verletzten offensiven Stammspieler Niclas Füllkrug, Jamal Musiala und Kai Havertz hatte Nagelsmann insbesondere vorne umbauen müssen. Der Gladbacher Tim Kleindienst und der später eingewechselte Mainzer Jonathan Burkardt profitierten und sind jetzt Nationalspieler. Im Tor ersetzte VfB-Profi Alexander Nübel den lange fehlenden Marc-André ter Stegen. Zumindest dieses Debütanten-Trio wird den Abend in Zenica nicht vergessen.
«Das Debüt gemacht, gewonnen, besser hätte der Abend nicht verlaufen können», sagte Kleindienst. Der baumlange Stürmer hatte auch ins Tor getroffen, stand dabei aber im Abseits. Auch Treffer von Undav und Serge Gnabry wurden wegen einer Abseitsstellung zurückgenommen. Die Chancenverwertung nannten alle Beteiligten als Kritikpunkt, oder zumindest als Ansatz, woran noch gearbeitet werden müsse.
Job erledigt - jetzt kommt Holland
«Wir haben unseren Job gemacht. Sicherlich hätte der Sieg ein bisschen höher ausfallen können», sagte Kapitän Joshua Kimmich. «Wenn wir das dritte Tor machen, haben wir einen ruhigeren Abend. Das ist so ein bisschen das Einzige, wo wir sagen können, damit sind wir unzufrieden.»
Das Risiko, etwas Unruhe ins Spiel zu bringen, war Nagelsmann bewusst eingegangen. Nach drei Wechseln zur Mitte der zweiten Spielhälfte fiel schnell das Gegentor durch Bosniens Altstar Edin Dzeko. Die Positionstreue sei «nicht mehr perfekt» gewesen, rügte Nagelsmann. Er verwies aber auch auf die «Gratwanderung» zwischen einem aggressiven Spiel auf das dritte Tor und der Ergebnissicherung.
«Es ist nicht leicht mit so vielen Änderungen», sagte der von den bosnischen Fans gefeierte Antonio Rüdiger. «Trotzdem mein Lob an die neuen Jungs, die haben ihren Job gut gemacht.»
Leverkusener und Stuttgarter Co-Produktionen
Diese Neuen einzubinden, ist Nagelsmanns vorrangige Aufgabe. Warum, war bei beiden Toren zu sehen: Es waren jeweils Co-Produktionen von Spielern, die sich gut kennen. Vor dem ersten Treffer spielte Leverkusens Robert Andrich genau im richtigen Moment auf seinen gestarteten Bayer-Teamkollegen Florian Wirtz, der schlau und selbstlos auf Undav ablegte. «Ich habe ihm in Leverkusen schon öfter mal gesagt, dass er ihn mir tief spielen soll», sagte Wirtz. Vorbereiter des zweiten Tores war Undavs VfB-Teamkollege Maximilian Mittelstädt.
Gegen die Niederlande erwarte die DFB-Auswahl ein «ähnliches Spiel», sagte Wirtz, wenngleich aber eines mit «mehr Qualität» beim Gegner auf dem Platz. Nagelsmann wird sein Team an diesem Sonntag zum Abschlusstraining im längst liebgewonnenen Quartier in Herzogenaurach bitten. Mit der Hoffnung: «Wir müssen gucken, dass bis Montag alle gesund sind.»