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Kimmich in der Rolle seines Lebens: «Keine One-Man-Show»

Seit 2016 ist Joshua Kimmich Nationalspieler. Vor dem 92. Länderspiel ist der Bayern-Profi in der DFB-Hierarchie ganz oben angekommen. Und als Kapitän hat er nun «nichts mehr zu verschenken».
Joshua Kimmich
Fußball - Training Nationalmannschaft
Fußball - Pressekonferenz Nationalmannschaft
Fußball - Training Nationalmannschaft

Es ist nur ein Stückchen Stoff am linken Oberarm. Doch mit der so prestigeträchtigen schwarz-rot-goldenen Kapitänsbinde erfüllt sich für Joshua Kimmich die Rolle seines Fußballer-Lebens. Als der ehrgeizige Bayern-Profi nach dem ersten Training der Nationalmannschaft vor dem Nations-League-Spiel gegen Ungarn am kommenden Samstag (20.45 Uhr/ZDF) erwartbar Begriffe wie Stolz und Ehre erwähnt und natürlich von «etwas ganz Besonderem» spricht, das die Ernennung durch Bundestrainer Julian Nagelsmann für ihn bedeutet, klingt das aus seinem Mund nicht wie eine handelsübliche Profi-Floskel. 

Nein, Kimmich meint es so, wie er es sagt. «Als kleines Kind träumt man immer davon, Nationalspieler zu werden. Das schreibt man irgendwo ins Freundebuch. Trotzdem ist das sehr weit weg und sehr unrealistisch», erzählt er im hellen Scheinwerferlicht auf dem DFB-Podium. «Keiner träumt davon, Kapitän zu werden», fügt er noch hinzu.

Große Vorgänger als Weltmeister-Kapitäne

Und jetzt ist er - im 30. Lebensjahr - doch der führende Repräsentant der Nationalelf. Und Kimmich reiht sich ein in eine berühmte Liste von Vorgängern. Sein nächster Traum ist es nun, am 19. Juli 2026 im Football-Stadium der New York Giants und New York Jets als fünfter deutscher Spielführer nach Fritz Walter (1954), Franz Beckenbauer (1974), Lothar Matthäus (1990) und Philipp Lahm (2014) den goldenen Weltmeister-Pokal in den Händen zu halten. «Die WM ist noch sehr weit weg, aber im Hinterkopf», sagt Kimmich. 

Der in Rottweil in Baden-Württemberg geborene Kimmich wird die DFB-Auswahl gegen den EM-Gruppengegner Ungarn in Düsseldorf erstmals als offizieller Kapitän auf den Rasen führen. Neu ist diese Aufgabe für ihn nicht. Bislang erledigte er sie aber stets stellvertretend für den festen Kapitän. Das ist seit Montag nun er - als Nachfolger von Ilkay Gündogan.

Was für ein Kapitän will Kimmich sein? Auf jeden Fall ein erfolgreicher. «Vor allem meine Generation hat nichts mehr zu verschenken. Wir wollen jeden Titel, jede Chance nutzen. Und da wollen wir bei der Nations League anfangen», kündigt er entschlossen an. 

«Säulen sind uns weggebrochen»

«Wir haben keinen mehr dabei im Kader, der Weltmeister geworden ist.» Nur ein paar Confed-Cup-Sieger von 2017 wie ihn. Führen will er die Mannschaft im Verbund mit anderen Führungskräften wie seinen Stellvertretern Antonio Rüdiger (31) und Kai Havertz (25). «Kapitän ist keine One-Man-Show!», sagte Kimmich. Man brauche - gerade nach dem Abschied von Toni Kroos, Manuel Neuer, Thomas Müller und Gündogan «viele Jungs, die Verantwortung übernehmen. Säulen sind bei uns weggebrochen.» 

Für Nagelsmann ist der Kapitän «der Abgesandte der Mannschaft». Einer der wichtigsten Ansprechpartner. Ein Fixpunkt - auf und neben dem Platz. Kimmich ist mit 91 Länderspielen der Erfahrenste im aktuellen Kader. Seine Beförderung war erwartbar und nachvollziehbar. 

Er war schon einer der drei Kapitäne bei der EM. Gündogan und Müller sind nicht mehr da. Und damit war Kimmich automatisch «der Kandidat Nummer eins», wie Nagelsmann sagte: «Josh ist in der Art und Weise, wie er den Job ausführt als Profi-Fußballer ein Vorbild für die gesamte Gruppe. Er gibt immer Vollgas. Er will immer trainieren - manchmal zu viel. Er ist nie müde. Er will immer gewinnen. Er geht mit seiner Mentalität voran.» 

Zum Start der Vorbereitung auf das Ungarn-Spiel konnte Kimmich diese Multi-Rolle auf dem Trainingsplatz nur zeitweise ausleben. Er machte am Dienstagvormittag vorzeitig Schluss, ebenso wie seine Bayern-Kollegen Aleksandar Pavlovic und der nahezu komplett geschonte Jamal Musiala. Die nur drei verbliebenen Bayern-Profis im DFB-Kader hatten noch am Sonntagabend in der Bundesliga gegen Freiburg gespielt und wurden weniger belastet.

Weiter rechts statt im Mittelfeld: Na und!

Das Kapitäns-Amt wird Kimmich weiter antreiben. Aber er wirkt längst nicht mehr so verbissen wie früher. Das zeigt auch sein Umgang damit, dass Nagelsmann nicht ihn dazu auserkoren hat, die große Lücke in seinem Lieblings-Revier zu füllen. Im Mittelfeld müssen Nachfolger für Toni Kroos und Gündogan gefunden werden. Er soll das aber nicht sein.

Kimmich bleibt im DFB-Team rechts hinten verortet. «Ich sehe es eher als Stärke, dass ich beide Positionen spielen kann. Das hat mir brutal geholfen, dahin zu kommen, wo ich bin», sagt er im gereiften Alter. Als Rechtsverteidiger habe er bei der EM «auch Spaß gehabt». 

Für den Bundestrainer ist Kimmich auch rechts alles andere als eine Randfigur. Das hob Nagelsmann explizit hervor: «Josh hat bei der EM eine Benchmark gesetzt. Er hatte die mit Abstand besten Werte von allen Rechtsverteidigern. Er wird die Position weiter bekleiden.» 

Und womöglich dort seine DFB-Karriere als Kapitän krönen können. Bei der EM 2016 erkämpfte er sich als Turnierneuling einen Platz in der ersten Elf; übrigens auch als rechter Verteidiger. Kimmich stieg zum Klassensprecher der verheißungsvollen 1995er-Generation auf - und wurde so zum Gesicht der vermurksten Turniere 2018 (WM), 2021 (EM) und 2022 (WM). 

Nach der Heim-EM, bei der man die Fans trotz des Viertelfinal-Aus' habe zurückgewinnen können, blickt er nun «mit einem positiven Gefühl» in die Zukunft: «Jeder hat Bock in der Mannschaft, für Deutschland zu spielen.» Besonders er - mit einem Stückchen Stoff am linken Oberarm.

© dpa ⁄ Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa
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