Der «blaue Bunker» in der Abwehr lindert Frankreichs Sorgen um das eigentliche Prunkstück mit Maskenmann Kylian Mbappé kaum - und nun will Nachbar Belgien auch noch eine sechs Jahre alte Rechnung begleichen. Mehr geht zumindest auf dem Papier bei dieser Fußball-EM nicht: Die Équipe Tricolore ist Weltranglistenzweiter hinter Argentinien, Belgien Dritter.
Egal, wer am Montag (18.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) in Düsseldorf nach 90 Minuten plus Nachspielzeit, Verlängerung oder Elfmeterschießen ausscheidet: Es wird noch mehr Unruhe in der Heimat geben. Das weiß Frankreichs langjähriger Erfolgscoach Didier Deschamps ebenso wie Belgiens deutscher Trainer Domenico Tedesco.
«Bewahren Sie Ruhe, Herr Tedesco»
«Das sind die Spiele, auf die wir warten, und alles ist möglich», versichert der 38 Jahre alte Tedesco und gibt sich kämpferisch: «Jetzt treffen wir auf eine Spitzenmannschaft, deshalb haben wir uns qualifiziert, sonst hätten wir zu Hause bleiben können.»
Der Ärger wegen der verspäteten Ankunft im Stadion vor der Nullnummer gegen die Ukraine im letzten Gruppenspiel sollte sich beim Coach der Roten Teufel auch gelegt haben. «Tedesco muss aufhören, an Verschwörungstheorien zu glauben. Ebenso mit dem Anführen bestimmter Ausreden», forderte bereits die belgische Zeitung «Het laatste nieuws»: «Bewahren Sie Ruhe, Herr Tedesco - und machen Sie einfach weiter.»
0:1 gegen die Slowakei, 2:0 gegen Rumänien und dann das 0:0 gegen die Ukrainer, wie die Franzosen zogen die Belgier nur als Gruppenzweiter ins Achtelfinale ein. Frankreich hatte dank eines Eigentores 1:0 gegen den späteren Gruppensieger Österreich gewonnen, 0:0 gegen die Niederlande gespielt und war auch gegen bis dahin punktlose und bereits ausgeschiedene Polen nicht über ein 1:1 hinausgekommen.
Erstes Fazit: Die Defensive steht und wurde bereits als «blauer Bunker» bezeichnet («L'Équipe»), die hochkarätige Offensive und deren Effizienz machen Sorgen. «Wir haben nicht so viele Tore geschossen wie gewünscht», gab der ebenfalls von der heimischen Presse kritisierte Deschamps am Sonntag zu, «aber ich kann nicht einfach mit den Fingern schnipsen, damit das passiert.»
Kritik auch am Trainer
«Auswahl, Coaching, Führung: Ein umstrittenerer Didier Deschamps», schrieb jüngst die französische Sportzeitung «L'Équipe». Demnach seien Ersatzspieler mit wenig oder gar keinen Einsatzminuten unzufrieden. Deschamps sei zudem weiter auf der Suche nach der neuen Hierarchie in der Mannschaft nach den Rücktritten von Spielern wie Torwart Hugo Lloris oder Abwehrchef Rafael Varane nach der Vizeweltmeisterschaft 2022.
«Deschamps weiß das zweifellos besser als jeder andere: Nur durch Ergebnisse wird es ihm gelingen, das Vertrauen und die Begeisterung seiner Gruppe vollständig zurückzugewinnen», ergänzte «L'Équipe».
Immerhin bestimmte am Wochenende erstmal die Tour de France die französischen Sportseiten. Sollte Frankreich als einer der EM-Topfavoriten aber ausscheiden, wird es wohl heftige Diskussionen geben. Seit Juli 2012 trainiert der ehemalige Welt- und Europameister-Kapitän die Auswahl der Grande Nation. Er machte aus einem zerstrittenen Haufen eine Gewinnermannschaft.
Missglückter Gag der Belgier heizt Stimmung an
Seit 2014 und dem 0:1 gegen Deutschland im Viertelfinale bei der WM in Brasilien hat Frankreich unter Deschamps bei EM und WM nicht ein einziges Spiel in der regulären Spielzeit verloren. Der Gegentreffer im Finale der Heim-EM 2016 gegen Portugal fiel in der Verlängerung. 2018 bei der WM gewann Frankreich den Titel.
Bei der darauffolgenden EM schied Frankreich gegen die Schweiz im Achtelfinale im Elfmeterschießen aus. Bei der WM 2022 hatte Frankreich im Elfmeterschießen im Finale das Nachsehen gegen Argentinien.
Dass sie 2018 im Halbfinale in Russland die Belgier mit 1:0 geschlagen hatten, sorgt in deren Lager für zusätzliche Motivation. Und als wäre die Stimmung - auch durch die Pfiffe der eigenen Fans nach dem Ukraine-Match nicht schon geladen und angespannt genug, befeuerte ein missglückter Gag die Gesamtstimmung.
In einem Video fragte ein belgischer Komiker, wer denn Mbappé gegen das Schienbein treten könne. Die Antwort gab der belgische Nationalspieler Amadou Onana, als er seinen eigenen Namen sang. Der Verband entschuldigte sich wenig später und löschte das Video.
Noch eine neue Maske für Mbappé
Die Franzosen dürften aber gerade beim angeschlagenen Mbappé keine Scherze verstehen. Der 25 Jahre alte Angreifer, der nach seinem Weggang von PSG am Montag auch zum ersten Mal offiziell als Spieler von Real Madrid geführt wird, kämpft noch immer mit seinem Gesichtsschutz wegen des Nasenbeinbruchs aus dem Auftaktspiel gegen Österreich. «Ich hasse es, es ist wirklich sehr irritierend. Ich habe sie schon fünfmal ausgewechselt», sagte er.
Vor dem Duell mit Belgien probierte er eine weitere neue Version einer Maske, die enger anliegt und ihn weniger stören soll. Denn die Hoffnungen auf ein Ende der Torflaute ruhen vor allem auf dem Kapitän der Franzosen. Gegen Polen hatte Mbappé immerhin einen Elfmeter verwandelt.