Seinen gewaltigen Ärger wollte Rani Khedira trotz des 1:0-Heimsiegs gegen den FC St. Pauli nicht verbergen. «Da muss ich ehrlich sagen: Es ist eine Katastrophe», sagte der Kapitän des 1. FC Union Berlin bei DAZN. «Da sollten sich die schlauen Menschen auch mal irgendwie Gedanken drüber machen, dass wir zwar Fußballspieler sind, aber auch Menschen sind.» Zuvor war er gefragt worden, wie die Mannschaft auf den kurzfristigen Abgang von Nationalspieler Robin Gosens reagiert habe.
Der Abwehrmann wechselt per Leihe zur AC Florenz in die italienische Serie A, wie die Berliner nach dem Spiel mitteilten. Für große Irritationen hatte vor allem der Ablauf des Wechsels gesorgt. Während Trainer Bo Svensson die Mannschaft auf das Duell gegen den FC St. Pauli einschwor, hatte es Gosens zu den medizinischen Geräten getrieben, die seinen Fitnesszustand untersuchen sollten - mit Erfolg. Nach nur einer Spielzeit ist der Rekordeinkauf und Topscorer der abgelaufenen Spielzeit schon wieder weg, vorerst jedenfalls. Ein «sehr, sehr komischer Tag», fasste Svensson zusammen.
Gosens «völlig aufgelöst»
Der 30 Jahre alte Gosens habe «fast schon mit Tränen in den Augen» dagestanden, sei «völlig aufgelöst» gewesen, tat Khedira kund. «Beim Mittagessen war es klar, dass er bei uns bleibt, dass er spielt. Und zwei Stunden später, nach seinem Mittagsschlaf, kommt dann die Nachricht, dass es dann doch so aufgeht», erklärte er das Hin und Her am Freitag. «Wenn man das so am Spieltag mitnehmen muss, finde ich das komisch.»
Rein aus persönlichen Gründen, wie Union-Geschäftsführer Horst Heldt nach dem Spiel sagte, sei Gosens in die Toskana gewechselt. «Er hatte uns ja schon immer gesagt, dass er wechseln möchte, wenn die Möglichkeit bestehe», sagte Heldt, der einige Anfragen für Gosens, der seine bisher beste Karrierezeit bei Atalanta Bergamo und Inter Mailand verbrachte, erhalten hatte: «Und dann macht es auch keinen Sinn, einen Spieler zu behalten, der dann nicht richtig bei der Sache ist.» Über die genauen Konditionen des Transfers teilte Union wie üblich nichts mit.
Nachfolger Rothe fängt sich im Laufe der Partie
Auch wenn der Wechsel am letzten Transfertag überraschend kam, hat Union mit der Verpflichtung von Tom Rothe von Borussia Dortmund II schon vorgesorgt. Der 19-Jährige nahm gleich die Position des Nationalspielers ein. «Er hat sich die erste halbe Stunde schwer getan», sagte Trainer Svensson über Rothes erstes Union-Heimspiel, wies aber auch auf die Umstände hin. «Erst dreieinhalb Stunden vor Spielbeginn kann er sich sortieren», erklärte Svensson. «Die zweite Halbzeit war er besser, wir werden viel Freude mit ihm haben.»
Auch ohne Gosens, der vor dem Spiel noch Standardsituationen mit seinen Mitspielern trainiert hatte, kam Union in dem Kampfspiel gegen den Aufsteiger zu einem letztlich verdienten Erfolg, den Benedict Hollerbach mit dem Tor des Tages in der 34. Minute sicherstellte. «Wir haben vier Punkte nach zwei Spielen. Das ist ein guter Auftakt für uns. Andere haben die noch nicht», sagte der Stürmer.
Hollerbach: «Es geht sicher besser»
Ein bisschen Glück war nach einer spielerisch limitierten Vorstellung allerdings auch dabei. Union-Torwart Frederik Rönnow vereitelte in der Nachspielzeit eine große Gäste-Chance, sonst wäre der Tag für Union ganz hin gewesen. «Es geht sicher dominanter, es geht sicher besser», gab Hollerbach zu. «Wenn wir jetzt hier noch ein Tor kassieren, dann war es sicher kein gutes Spiel.»
Gosens' Abgang indes überdeckte vieles, auch den zuvor verkündeten Zugang von Andrej Ilic. Der 24-jährige Serbe kommt für diese Saison leihweise vom französischen Erstligisten OSC Lille und soll für Tore sorgen. «Spieler mit der Qualität bekommt man normalerweise nicht», sagte Heldt über den 1,89 Meter langen Mittelstürmer, der zwischenzeitlich lange verletzt war. «Das ist eine Chance für ihn, aber auch für uns.»
Gosens sucht seine Chance derweil auch wieder auf internationaler Bühne. In Florenz, das am Donnerstag die Gruppenphase der Conference League erreicht hatte, könnten die Tränen schnell wieder trocknen.